2005 – Heft 4 / 325
K R I T I C U S
hat während der Woche häufig in der Vorderreihe etwas zu erledigen. Wenn das Wetter schön ist, pflegt er eine kleine Rast einzulegen, um sich von den Strapazen seiner geschäftlichen Tätigkeiten zu erholen. Dazu begibt er sich auf die andere Straßenseite, um eine der Bänke anzusteuern, die auf der Traveseite zum Sitzen einladen. Während seines langen Lebens hatte der KRITICUS Gelegenheit, schon auf den verschiedensten Typen dieser mehr oder weniger bequemen Sitzgelegenheiten Platz zu nehmen. Manchmal saß er allein auf dem Bänkchen oder er teilte sich das gute Stück mit mehreren Mitsitzern, manchmal saßen fünf Leute auf der Bank, dann mußten sie allerdings schlank sein und möglichst nicht schwitzen.
Da gab es Modelle aus Holz, Metall und Kunststoff, mit oder ohne Lehne, fest verankert oder transportabel. Letztere standen nach kurzer Zeit in der ganzen Gegend herum, nur nicht dort, wo sie eigentlich hingehörten. Ein Grüppchen wackerer und starker Männer war dann damit beschäftigt, sie wieder an Ort und Stelle zu tragen.
KRITICUS hat während seiner Sitzungen auch viele nette Leute aus aller Herren Länder kennen gelernt und sich mit ihnen unterhalten. Er konnte den ausländischen Freunden dann auch vieles von Travemünde erzählen und erläutern. Das hat ihm sogar Spaß gemacht.
Nun mußten die so beliebten Bänke natürlich auch gepflegt werden. Für die Reinigung waren einige Damen und Herren zuständig, die mit Eimer und Wischlappen unterwegs waren und diese Möbel mit Streicheleinheiten auf Hochglanz brachten. In regelmäßigen Abständen mußten auch die Maler zum Einsatz kommen. Das kostete alles Geld. Unsere Kurverwaltung suchte deshalb nach pflegeleichten Modellen.
Im vorigen Jahr hatte man sich deshalb entschlossen, neue Möbel anzuschaffen. Die Auswahl war groß, und die Obrigkeit entschloß sich, das Volk sprechen und entscheiden zu lassen.
Ein Ortstermin wurde anberaumt, und die Bürger Travemündes dazu eingeladen. Mehrere Bankmodelle wurden vorgestellt und eine Abstimmung durchgeführt. Die Leute entschieden sich komischerweise für eine Bankkonstruktion, die eigentlich nur hübsch aussah, aber im Grunde unpraktisch und obendrein noch ziemlich teuer war. Hier hätte die Obrigkeit doch ihre Bedenken anmelden und auf die Schwachstellen dieser Sitzgelegenheiten hinweisen müssen. Aber Volkes Wille war ausschlaggebend, und die Bänke wurden gekauft und aufgestellt. Sie bieten Platz für mindestens vier Leute, aber nur die beiden Flügelmänner oder -frauen kommen in den Genuss einer schönen, breiten Lehne und müssen auf die Trave blicken. Da sind natürlich die Kameraden, die auf den unbelehnten Plätzen sitzen, besser dran. Sie können sich nämlich umdrehen und die Deutsche Bank oder Kaufhaus Matzen betrachten. Da ist ja im Sommer auch immer eine Menge zu beobachten, aber die Gruppe dieser Leute war außerordentlich gering, denn da kann man natürlich die schönen Schiffe schlecht sehen.
Außerdem soll es mehrfach vorgekommen sein, dass nur zwei Menschen, die sich vielleicht noch sehr nahe standen, so eine Bank für sich ganz allein hatten. Wenn jeder einen Lehnenplatz besetzt, war die Unterhaltung stets schwierig, außerdem fehlte die körperliche Nähe, auf die manche Leute wert legten. Oder er musste unbequemer sitzen, dritter Klasse sozusagen. Die zuständige Behörde bekam natürlich Kenntnis von dieser Sach- oder besser Sitzlage und reagierte in diesem Sommer mit einer dritten Lehne zwischen den beiden vorhandenen. Dazwischen klafften zwei unbelehnte Lücken, vielleicht als Kindersitze zu benutzen.
Die Lösung findet der Kriticus auch nicht optimal und fragt sich und die Obrigkeit, ob man nicht eine Lehne über die ganze Bankbreite anbringen könnte, dann hatten nämlich vier Personen bequem Platz. Aber vielleicht ist das zu teuer.
Die preiswerteste Lösung wäre natürlich, auf die Lehnen zu verzichten. Wenn man dann zu zweit auf der Bank sitzt, kann man einen Arm um seine Partnerin legen, und sie auf diese Weise stützen. Wenn fremde Menschen dann den Mut fänden, auch so zu handeln, könnten Freundschaften für das ganze Leben entstehen. Hat er übrigens früher, als die Bänke noch keine Lehnen hatten, häufig selbst ausprobiert und es nicht bereuen müssen. Deswegen liebt er Bänke ohne Lehnen, der
KRITICUS.
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