Travemünder Häuser Nr. 53
Howingsbrook 3
Der Howingsbrook ist eine viel befahrene Straße. An der rechten (oder meinetwegen auch linken) Seite steht das zum Teil ganz neue Wohnviertel rund um die Nordmeerstraße. Auf der gegenüberliegenden Seite steht eigentlich nichts. Aber dann entdeckt man eine Grundstückseinfahrt mit einem schweren, schönen schmiedeeisernen Gartentor, welches auf jeder Seite zwei Wappen mit Kreuzen enthält. Diese weisen eindeutig darauf hin, dass sich hier einmal eine kirchliche Einrichtung befand. Hier ist der Eingang zum Grundstück Howingsbrook 3.
Wenn wir den von Bäumen umgebenen Weg entlanggehen, stoßen wir nach ca. fünfzig Metern auf einen Gebäudekomplex, der aus einem älteren Haupthaus und zwei sich rechtwinklig anschließenden Flügeln besteht. Außerdem gibt es da noch ein Wirtschaftsgebäude, und umgeben wird das Ganze von einem sehr großen Garten. Das ist der Howingsbrook 3.
Die wenigsten Travemünder wissen sicherlich, dass hier körperlich und geistig behinderte Mitmenschen ihr Zuhause haben. Darum ist es wichtig, dass wir diese Wohneinrichtung einmal vorstellen. Sie gehört zu den Marli-Werkstätten, den bekannten Lübecker gemeinnützigen Einrichtungen für behinderte Menschen. Die Marli-Werkstätten sind eine GmbH, und der Hauptgesellschafter ist die im Jahre 2001 gegründete Lebenshilfe Stiftung. Diese Stiftung soll unter anderem Hilfestellung leisten, um die Angebote für behinderte Menschen weiter zu entwickeln. Dazu gehören: Werkstätten und Wohnstätten für behinderte Menschen, ambulant betreutes Wohnen, Frühförderung, familienentlastender Dienst, Freizeitclub usw.. Zu den Wohnstätten gehört das Haus am Howingsbrook.
Hier wohnen 32 Frauen und Männer im Alter von 20 bis 62 Jahren. 12 Männer und Frauen sind als Betreuer in dieser Einrichtung tätig. 32 Einzelzimmer und 10 Appartements stehen zur Verfügung, darunter natürlich auch einige für Bewohner, die auf den Rollstuhl angewiesen sind. Es gibt drei Wohngruppen, die auch im Haus tätig sind, z.B. in der Küche oder in der Bio-Landgärtnerei. Einige Bewohner sind in Lübeck beschäftigt, z.B. in dem zu den Marli-Werkstätten gehörenden Cafe und Restaurant im Aegidienhof St.-Annen-Straße 1. Besuchen Sie doch einmal diese gastliche Stätte, Sie werden sehr zufrieden sein.
Besonders erwähnenswert ist aber die Gärtnerei am Howingsbrook. Hier werden seit dem Jahr 2000 Jungpflanzen angezogen. Auf der Steinobstwiese werden Birnen, Äpfel und Zwetschgen geerntet, die im Marli-Hofladen in der Wesloer Landstraße 5c zum Verkauf angeboten werden. Außerdem wird ein umfangreiches Sortiment von saisonalem Gemüse, Kräutern und Kartoffeln angebaut. Die Gärtnerei ist als Ausbildungsbetrieb anerkannt und wird vom Gärtnermeister Thorben Schneider geleitet. Diese Gärtnerei übernimmt übrigens auch die Pflege größerer Objekte von Hausverwaltungen. Die Anbauflächen der Gärtnerei werden nach den Grundsätzen des ökologischen Landbaus, des Biolandverbandes bewirtschaftet.
Übrigens hat dieser Gartenanbau einen „historischen“ Ursprung. Die Marli- Werkstätten übernahmen Gebäude und Grundstück erst im Jahre 1993 vom Diakonischen Werk Hamburg, und davor gab es hier eine Gärtnerei anderer Art, nämlich die Bassow’sche Baumschule. Das gesamte Grundstück gehört zu Gneversdorf. Diese Baumschule war weit über Travemünde hinaus bekannt. Warum dieser Betrieb eingestellt wurde, konnte der Chronist nicht ermitteln. Jedenfalls übernahm der Bauer Paulsen dieses fruchtbare Grundstück zur Erweiterung seiner Landwirtschaft. Als der Ausbau der B76, der sogenannten kleinen Bäderstraße bis nach Haffkrug und später der vierspurigen B75 geplant wurde, kaufte das Bundes-Straßenbauamt große Flächen auf. Da die Restbauernstelle nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben war, veräußerte der Besitzer auch die ehemalige Baumschule. Die Hamburger Diakonie erwarb das Grundstück und baute darauf ein Erholungsheim für Diakonissen. Das muß kurz nach dem Kriege gewesen sein. Zuerst wurde das Haupthaus gebaut, das später nach und nach durch Anbauten vergrößert wurde. Man konnte nun die frommen Diakonissen auch im Städtchen treffen, wenn sie in ihrer strengen Schwesterntracht auf der Strandpromenade spazieren gingen oder auf dem Fahrrad durch den Ort fuhren.
Das Gebäude erhielt nun den Namen Bethanien. Die Schwestern unterhielten einen engen Kontakt zur St. Lorenz Kirchengemeinde, und die Konfirmanden statteten den gastfreundlichen Bewohnerinnen gerne einen Kurzbesuch ab, denn es gab immer selbstgebackenen Kuchen. Auch die damals noch häufiger anzutreffenden Hausierer wussten diese gastliche Stätte zu schätzen und kehrten zu einem Kaffeebesuch in der Küche gerne dort ein. Die große Gartenanlage lieferte reichlich Obst und Gemüse, das sowohl der Eigenversorgung diente, als auch an das Hamburger Bethanien Krankenhaus geliefert wurde. Es gab damals noch einen Kurprediger. Der durfte auch in Bethanien wohnen. Auch die Küche genoss einen guten Ruf, was die ausgewählten Gäste, die in dem Haus während ihres Urlaubes dort wohnen durften, bestätigen konnten. Als letzter Gartenbaumeister war Peter Römer von 1973 bis 1993 mit einem Helfer dort tätig. Besonders zum Erntedank-Gottesdienst wurde die St. Lorenz-Kirche von ihm und den Schwestern üppig geschmückt. Vor dem Altar wurden all die Dinge aufgebaut, die in dem großen Garten wuchsen und gediehen.
Aber eines Tages waren sie nicht mehr bei uns, die freundlichen und hilfsbereiten Diakonissen. Das Gebäude stand aber nicht lange leer. Die Marli-Werkstätten erwarben Haus, Hof und Garten und füllten dieses Anwesen mit neuem Leben, sicher ganz im Sinne der Vorbewohnerinnen. Natürlich mussten für den besonderen Bedarf einige An- und Umbauten vorgenommen werden, um den Anforderungen bei der Betreuung behinderter Mitmenschen zu genügen. Aber seine Aufgabe, der Nächstenliebe und Hilfsbereitschaft zu dienen, hat dieses Haus behalten, auch wenn es den Namen gewechselt hat. Dass es noch lange so bleiben möge zum Wohle unserer behinderten Mitmenschen, ist unser Wunsch.
Helmuth Wieck
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