Travemünder Häuser Nr. 63
Brodtener Ufer
Restaurant Hermannshöhe
Schon der Konsul Hermann Fehling liebte den Blick von der kleinen Erhebung am Brodtener Steilufer auf die Ostsee und die Mecklenburger Küste. Bei Wind und Wetter ist er auf dem schmalen Trampelpfad hinaufgewandert und hat sich dort ausgeruht. Hermann Fehling lebte von 1847 bis 1907 und hat viel für Travemünde getan. Als die verheerende Sturmflut 1872 großen Schaden vor allem an den Gebäuden der Seebadeanstalt angerichtet hatte, war ihm klar, daß nur eine massive Uferbefestigung bei solchen Katastrophen Schutz bieten konnte. Bei einer Reise nach England hatte er auch Brighton, das große Seebad an der Kanalküste besucht und dort gesehen, wie man Küstenschutz und die Anforderungen eines luxuriösen Seebades unter einen großen Hut gebracht hat.
So inspiriert, wurde in Travemünde der Steindeich mit der wunderschönen Strandpromenade auf seine Initiative hin gebaut. Der Fehlingstein am Anfang der Promenade und die nach ihm benannte Straße erinnern an diesen Mann, und auch die Hermannshöhe wurde nach ihm benannt.
Die Idee, an dieser wunderschönen Stelle eine Einkehrgelegenheit zu schaffen, hatte Wilhelm Beythien, Inhaber des „Hotels zur Börse“ in der Vorderreihe neben dem Zollamt. Er pachtete im Jahre 1900 von der Hansestadt Lübeck das Grundstück und stellte eine Art Pavillon auf, den er von der Pferderennbahn auf dem Priwall gekauft hatte. Damit hat er das Restaurant und Café „Hermannhöhe“ begründet, das heute zu einem der beliebtesten Ausflugsziele in der Umgebung Travemündes gehört.
Wilhelm Beythien und seine Frau Emma bewirtschafteten die Gast- und Raststätte gemeinsam bis zum Tode von Wilhelm im Jahre 1935. Damals gab es aber noch keine feste Straße, sondern alles, was man im Lokal benötigte, mußte anfangs mit einem Bollerwagen auf einem schmalen Wanderweg, der mehr ein Trampelpfad war, am Restaurant „Seetempel“ vorbei, das Herrn Schickedanz gehörte, zur Hermannshöhe gekarrt werden. Das war besonders anstrengend, wenn sich Vereine angemeldet hatten, denn es hatte sich bald herumgesprochen, daß man hier herrlich einkehren konnte.
Da mußten Mengen von Bierkisten, aber auch Fleisch, Wurst, Brot und viele andere Nahrungs- und Genußmittel hinaufgeschafft werden. Erleichterung gab es, als die Bahnlinie von Travemünde nach Niendorf mit der Haltestelle Brodten fertiggestellt war. Der Weg vom „Bahnhof“ zur Hermannshöhe war kürzer und mit einem Bollerwagen leichter zu bewältigen.
Ständig erweiterten die Beythiens ihr Lokal. Sogar eine Treppe wurde gebaut, die das Steilufer hinaufführte. Eine Anlegestelle ermöglichte nun auch kleinen Ausflugsschiffen den Transport von Menschen und auch von anderen Dingen.
Otto Timmermann, unser Travemünder Heimatdichter, hat ab 1932 lange Jahre als „Hausdiener“ bei Beythiens auf der Hermannshöhe gearbeitet. Er schildert in seinem Büchlein „Den Kopf voller Gedanken“ ganz ausführlich und sehr anschaulich, wie das Leben auf der Hermannshöhe in den dreißiger Jahren verlief. Wir erfahren, daß außer Hund und Katze noch vier Schweine und sogar ein kleiner Affe zu den Hausbewohnern gehörten. Aber lassen wir Otto Timmermann selbst erzählen:
Auszug aus dem Buch „Den Kopf voller Gedanken …“
Es war ein nebliger Apriltag im Jahre 1932, immer wieder heulte das Nebelhorn. Von diesem gab es übrigens auch eines in Schwansee in Mecklenburg, was nach kurzer Zeit mit einfiel. Man hörte aber auch die Signalhörner der Dampfer und das Anschlagen der Schiffsglocken.
Als wir aus dem Wäldchen beim Seetempel heraus traten und ich zum ersten Male das hohe und steile Ufer sah, wurde mir doch ein bisschen anders zumute. Ich ging ganz dicht an meinen Vater heran. Angst kam in mir auf, dachte ich doch, das Ufer könnte abstürzen, denn einige Risse waren deutlich zu erkennen. Auf halbem Wege frage ich meinen Vater, wie weit es denn noch sei. „Gleich sind wir da!“ Nach einer ziemlichen Steigung tauchte im Nebel die ‚Hermannshöhe‘ auf. Ein grün gestrichener Pavillon, eine Fensterfront, dahinter Tische und Stühle. Wir traten ein. Eine wohlige Wärme schlug uns entgegen und der Geruch von Bier, Grog und Zigarren. Auch innen war das Lokal grün angestrichen und über dem Tresen hing eine Luftschraube, ein Propeller von einem abgestürzten Flugzeug. Das waren meine ersten Eindrücke in diesem Dunst und Nebel. Da löste sich vom Tresen eine riesige Gestalt: Wilhelm Beythien, 192 Zentimeter groß, wie ich später feststellte. Er kam auf uns zu, um meinen Vater und mich zu begrüßen. Als er mir die Hand gab, dachte ich: Hoffentlich machst du mit dieser Pranke nicht einmal Bekanntschaft auf andere Art.
Es nahte der l. April, mein Arbeitsantritt auf der ‚Hermannshöhe‘. Ein warmer Frühlingstag. Als ich auf dem Steilufer ankam, lag vor mir im hellen Sonnenschein die ostholsteinische Küste und auf der anderen Seite die von Mecklenburg. Gedanken stiegen in mir auf, aber schnell musste ich sie verscheuchen, denn nun begann ein neues Kapitel. Vor allem durfte ich am ersten Tag ja nicht gleich zu spät kommen. Eine Steigung noch und die höchste Spitze war erreicht. Man hatte ausgerechnet, dass sie bis zur Fahnenspitze neunzig Meter über dem Meeresspiegel lag. Ich trete ein. Kein Mensch ist zu sehen, doch plötzlich eine Stimme: „Wir sind hier, Otto.“ Hinter dem Tresen ging es in die Küche, und hier saßen die beiden Beythiens am Frühstückstisch. Ich gab beiden die Hand und wünsche einen guten Morgen. Sie nötigten mich, mich zu setzen.
Nun sollte es Sommer werden und damit das Geschäft ein wenig beleben. Wir waren fertig mit dem Anstreichen der Gartenstühle und hatten sie mit den Tischen im Garten verteilt. Die Gäste konnten kommen. Bei gutem Wetter saß es sich hier sehr angenehm. Der Garten selber war mit Kies abgestreut und wurde jeden Morgen neu geharkt. Und jeden Morgen wurde das Gestühl abgewischt. Zwei Reihen Lindenbäume säumten den Platz. Es war ein herrliches Fleckchen Erde, dieses ‚Hermannshöhe‘. Weit schweifte der Blick über grüne Weiden, grasende Kühe und dahinter das blaue Wasser. Einmalig! Ich kam ins Schwärmen und musste doch an die Arbeit denken, die täglich anfiel. Viel Zeit musste ich mit dem alten Herrn und seiner Nagelkiste verbringen, er hämmerte eben zu gern.
Auch die Bootsanlegebrücke, die vom Wasser- und Schifffahrtsamt gebaut wurde, war rechtzeitig zum Pfingstfest fertig geworden. Kunstvoll fügte sich die Treppe in das immer wieder abbröckelnde Ufer ein. Ja, ein Kunstwerk hatten die Männer vollbracht und Wilhelm Beythien ließ sich mit Getränken nicht lumpen. Als er sah, dass sie nun langsam genug hatten, zogen sie ab. Wie sie mit ihrem Prahm nach Hause gekommenen sind, ich weiß es nicht. Aber die See war ruhig, kein Wind, und so schipperten sie ganz langsam immer an der Uferkante entlang.
Inzwischen wusste ich auch, warum man sich einen Affen hielt. Er sollte die Kinder anlocken und auf diese Weise dem Lokal Gäste bringen. Eine besondere Verbindung von Travemünde gab es noch nicht. Man konnte aber mit dem Schiff namens „Westnordwest“ zur ‚Hermannshöhe‘ fahren und über die Brücke und Treppe zum Steilufer hinauf kommen. Viele Möglichkeiten wurden bedacht, um das Lokal attraktiv zu machen, aber das Geld, das liebe Geld war knapp. Dazu kam ein heißer Konkurrenzkampf. Überall hatte man Schilder ‚Zur Hermannhöhe 1 km‘ aufgestellt, doch die wurden von den anderen umgedreht oder gar vom Ufer hinunter geworfen. Der Weg zur Gaststätte führte mitten durch den Kaffeegarten vom „Seetempel“. Das hieß, dass der Wirt von diesem Restaurant dort keine Gartenmöbel aufstellen durfte, weil diese die Wanderer behinderten. Aber er tat es doch. Wenn um drei Uhr noch keine Gäste in der ‚Hermannshöhe‘ angekommen waren, dann wusste mein Chef, dass der Schickedanz, so hieß der Wirt vom ‚Seetempel‘, wider einmal verrückt spielte. Dann sagte der alte Herr zu mir: „Otto, setz’ dich aufs Rad und stoße dem Dickkopf die Tische und Stühle um, so dass der Weg wieder frei wird.“ Es kam natürlich nicht zum Handgemenge, aber immerhin. Schickedanz wusste nun Bescheid. So gab es ja viele Begebenheiten, heute lacht man darüber. Wir konnten uns dort oben auf eines verlassen: Um drei Uhr lief in Travemünde am Strandbahnhof der Zug aus Lübeck ein. Am Waldrand auf dem Brodtener Ufer erschienen ungefähr dreißig Minuten später die ersten Gäste, und man konnte abzählen, wie viele Personen zu uns kamen. Danach wurde der Kaffee gebrüht, denn heiß musste er sein.
Nach dem Tode von Wilhelm Beythien im Jahre 1935 führten seine Frau und sein Sohn Berthold Beythien mit seiner Frau Marie, einer Berlinerin, das nun schon sehr bekannte Restaurant weiter. Berthold und Marie hatten ein Feinkostgeschäft in Schlutup.
Als 1939 der Krieg ausbrach, veränderte sich auch die Situation auf der Hermannshöhe. Auf dem Brodtener Ufer zwischen der Gaststätte und Niendorf war eine schwere 12,5 cm-Flakbatterie in Stellung gegangen, die von hier aus schon die amerikanischen und britischen Bombenflugzeuge, die in gewaltigen Verbänden nach Berlin flogen, unter Feuer nahmen. Der aufmerksame Spaziergänger kann noch Reste der betonierten Bunker und Geschützplattformen entdecken. Wahrscheinlich waren nun die Flak-Soldaten, die hier ihren Dienst taten, auch Gäste des Lokals.
Nach dem Kriege und der englischen Besatzung lief das Geschäft langsam wieder an. Es ist zu vermuten, daß auch britische Soldaten dieses schöne Fleckchen Erde mit dem herrlichen Blick auf die Ostsee und die vom Russen besetzte Mecklenburger Küste entdeckt hatten.
Nach der Währungsreform aber wurde es notwendig, das Haus zu vergrößern. 1953 bauten die Beythiens die Terrassengebäude und modernisierten Restaurant und Cafe.
1960 übernahmen Fritz Köster und seine Frau Gerda als Pächter das ganze Grundstück mit seinem wunderschönen Kaffeegarten und dem einmaligen Blick. Die Hermannshöhe war inzwischen zur touristischen Attraktion für jeden Feriengast in Travemünde geworden. Aber auch von der anderen Seite aus Richtung Niendorf war die gastliche Stätte Ausflugsziel vieler Spaziergänger. Natürlich war nun die Hermannshöhe auch mit dem Kraftfahrzeug zu erreichen. Eine asphaltierte Straße aus Brodten und ein großer Parkplatz ermöglichen sogar Bussen eine bequeme Zufahrt. Und diese Möglichkeit wird kräftig genutzt. Für Familien- und Vereinsfeiern ist die Hermannshöhe längst kein Geheimtip mehr.
1975 übernahmen Werner Schmidt und seine Frau Ilse den mittlerweile ziemlich großen Betrieb, der immer wieder erweitert und modernisiert werden mußte. Längst hat sich herumgesprochen, daß man hier vorzüglich speisen und trinken konnte. Bei schönem Sommerwetter hat man Mühe, im Kaffeegarten, wo man beileibe nicht nur Kaffee trinken muß, ein Plätzchen zu finden.
Leider starb Werner Schmidt viel zu früh am 8. September 2004. Seine Frau Ilse führt die Gaststätte mit ihren Söhnen Stephan und Michael in alter Tradition weiter, und wir wünschen der Familie weiterhin alles Gute und viel Erfolg.
Auf der Hermannshöhe steht etwas versteckt und geschützt ein Gedenkstein. Er wurde einmal von übermütiger Hand das Brodtener Steilufer heruntergekullert, und es machte große Mühe, dieses steinerne Denkmal wieder nach oben zu wuchten. Auf dem Stein steht geschrieben:
Die Wasserwogen im Meer sind groß und grau und mächtig.
Aber der Herr in der Höhe ist noch größer.
Dieser Psalm soll darauf hinweisen, daß die Ostsee ständig am Brodtener Steilufer nagt, jedes Jahr große Lehm- und Gesteinsmassen vom Ufer abbrechen und uns zwingen, den Wanderweg zur Hermannshöhe zurückzuverlegen. Ja, und eines Tages wird auch die Hermannshöhe den dramatischen Weg in die Ostsee antreten müssen. Aber bis dahin vergehen noch viele Jahre, und der Gast kann sich mit Sicherheit noch lange Zeit über den herrlichen Blick über die Lübecker Bucht und den vielen Schiffen freuen und ihn genießen, z.B. bei Kaffee und Kuchen oder einem Glas Wein.
Helmuth Wieck
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