Travemünder Häuser Nr. 70
Kaiserallee 6
Haus Royal
Sehr verehrte Anwesende, liebe Damen und Herren,
heute möchte ich Ihnen etwas über eine schöne alte Villa in der Kaiserallee erzählen und zwar über das „Haus Royal“.
Jedes alte Haus hat ja seine Geschichte und da diese Villa vor 75 Jahren für einige Jahre mein Zuhause war, hat mich besonders interessiert, was sich im Laufe der Zeit dort ereignet hat. Ich bin ja, wie schon mal erwähnt, im städtischen Kursaal zur Welt gekommen, weil mein Großvater dort Hausmeister war und meine Eltern nach ihrer Eheschließung einige Jahre dort in der Hausmeister- wohnung mitwohnen konnten. Im Jahre 1928 wurde in der „Villa Possehl“, Kaiserallee Nr. 6 die Hausmeisterwohnung frei und meine Eltern hatten die Möglichkeit, diese zu übernehmen und zogen mit uns Kindern, meinem Bruder und mir, dort ein. Es war eine einfache Zweizimmerwohnung im Souterrain, aber wir waren damals in unseren Ansprüchen ja auch sehr bescheiden. Ich war glücklich über die wunderschöne Lage so nahe am Strand und die Nähe zu den Großeltern im Kursaal. Besonders erfreute uns der herrliche, parkähnlich angelegte Garten mit den schönen alten Bäumen, die sich gut zum Klettern eigneten.
Nun etwas zur Geschichte:
Der Lübecker Senator Johannes Ludwig Emil Possehl kaufte im Jahre 1899 fünf zusammenhängende Grundstücke an der Strandpromenade in Travemünde von insgesamt 5.000 Quadratmetern. Auf dem mittleren Grundstück wurde 1904 nach den Wünschen des Senators und den Plänen der Architekten Schöss/Redelstorff die zweigeschossige, prachtvolle Villa fertiggestellt, gedacht von ihm als Sommerresidenz für sich und seine Gattin. Es gab eine kostbare Inneneinrichtung mit Parkettfußböden, Marmorwänden, Kronleuchtern und zeitgemäßem Mobiliar – entworfen im Jugendstil von Henry van de Velde – einem belgischen Architekten und Kunstgewerbler. Die kostbare Inneneinrichtung ist seit einem Innenumbau im Jahre 1965 nicht mehr erhalten, aber ein Teil der Einrichtung wurde in das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg (am Steintorwall, Nähe Hbf.) überführt. Da kann man das schöne Jugendstilzimmer mit den Möbeln aus der Villa Possehl sicherlich heute noch besichtigen.
15 Jahre nach Fertigstellung des Hauses starb der Senator im Alter von 69 Jahren und seine Witwe erbte Haus und Grundstück. Zwei Jahre später starb auch sie und Haus und Grundstück fielen der Possehl-Stiftung zu, die der Senator testamentarisch gegründet hatte.
Ganz kurz etwas zum Handelshaus Possehl. Firmengründer war im Jahre 1847 Ludwig Possehl, der in Lübeck ein Handelsgeschäft für Eisen und Kohlen eröffnete. Heute ist der Possehlkonzern eine weltweit agierende Unternehmensgruppe mit ca. 4700 Mitarbeitern. Schwerpunkte sind Edelmetallverarbeitung, die Elektronik und der internationale Handel mit Mineralien und Rohstoffen. Alleinige Gesellschafterin ist die Possehlstiftung, die – da sie gute Gewinne erzielt – die Hansestadt Lübeck mit ihren Einrichtungen und Gebäuden finanziell unterstützt. Auch Travemünde profitiert davon, u.a. € 140.000 allein für die Umgestaltung des Strandbahnhofes und auch eine Finanzspritze an den Heimatverein.
Zwischen 1921 und 1931 diente die Villa als Erholungsheim für Angestellte des Handelshauses. Sie stand aber auch etliche Jahre leer und die Hausmeister waren die einzigen Bewohner. Wenn keine Gäste da waren, konnten wir das wunderschöne Badezimmer benutzen, das natürlich nicht zu unserer Wohnung gehörte. Leider gibt es das heute nicht mehr, aber einige der Kacheln kann man im Hamburger Museum bewundern.
Zwischen 1934 und 1938 erfährt die Villa dann eine andere Nutzung. Die Possehlstiftung stellte das Haus in den Sommermonaten der Nordischen Gesellschaft zur Verfügung, die dort das Deutsch-Nordische Schriftstellerheim einrichtete, von den Travemündern nur „Dat Dichterhuus“ genannt. Die Nordische Gesellschaft, 1921 in Lübeck gegründet, hatte die Intensivierung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und den skandinavischen Ländern zum Ziel. Die Idee, eine Begegnungsstätte für deutsche und skandinavische Schriftsteller zu schaffen, war schon 1931 auf dem von der Nordischen Gesellschaft in Lübeck veranstalteten Schriftstellerkongreß entstanden. Es ließ sich nur kein geeignetes Haus finden.
1934 half die Possehl-Stiftung aus und stellte die von ihr verwaltete Villa zur Verfügung. Ganz ideal war die günstige Lage und Raumaufteilung. Im Erdgeschoss befanden sich Gemeinschaftsräume und die Bibliothek, im Obergeschoss lagen die Gästezimmer und im Untergeschoss die Wirtschaftsräume und die Hausmeisterwohnung. Man plante je einen Schriftsteller aus Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland einzuladen, sowie drei deutsche. Die Begegnung sollte dem gegenseitigen Kennenlernen dienen, gleichzeitig der Erholung und der schriftstellerischen Arbeit. Die Gäste konnten einen dreimonatigen, kostenlosen Sommeraufenthalt dort genießen. Finanziert wurde der Besuch von Goebbels Propagandaministerium.
Im Grunde waren die Einladungen an die Gäste eine verschleierte Propaganda für das damalige Regime. Zunächst wurden die Gäste von den Schriftstellervereinen in ihren Heimatländern ausgewählt. An 1934 kann ich mich noch gut erinnern. Gäste waren Erik Bertelsen aus Dänemark, Asmus Sveen aus Schweden und Tito Coliander aus Finnland, dazu drei deutsche: Herybert Menzel, Wolfram Brockmeier und Ludwig Friedrich Bartelt. Eine Hausdame, Frau Lisa Hain und zwei Hausmädchen wurden eingestellt. Für das Kochen war meine Mutter zuständig. Da sich alle Gäste in meinem Poesiealbum verewigt hatten, sind mir die Namen noch bekannt.
Der Aufenthalt diente jedoch nicht nur der Erholung. Es kamen Besucher aus Kultur und Sport, aber auch Repräsentanten des Regimes. Festlichkeiten mit Interviews im Hause lösten sich ab und ließen die Gäste über all zu viel gesellschaftlichen Rummel klagen. Zeit für schriftstellerische Arbeit sei Ihnen kaum geblieben. Ein Besucher von 1934 ist mir noch in guter Erinnerung und zwar war das Max Schmeling. Der hatte sein Trainingslager in Travemünde auf dem Leuchtenfeld aufgeschlagen und war im Schriftstellerhaus zum Tee eingeladen. Wir Kinder warteten vor dem Zelt, weil wir unbedingt Max erleben wollten und als er endlich kam, durften wir alle mit ins Zelt und ihm beim Training zuschauen. Im Schriftstellerheim gab sein Manager genaue Anweisungen, was Max essen und trinken durfte. Max begrüßte alle sehr freundlich, unterhielt sich nett mit ihnen und die Bedienung bekam ein gutes Trinkgeld.
Ab 1935 änderte sich dann einiges. Die Gäste wurden nun von den deutschen Gesandtschaften in den skandinavischen Hauptstädten ausgewählt und die Wahl der Gäste zunehmend unter politischen Gesichtspunkten getroffen. Die deutschen Gäste wählte die Reichsschrifttumskammer aus, und zwar nur solche, die überwiegend politische Dichtung verfaßten.
Meine Eltern zogen mit uns im Jahre 1935 in die Kurgartenstraße. Im Sommer 1938 kamen die letzten Gäste. Nur mit Mühe ließen sich Interessenten finden, der Gastgeber war durchschaut.
Von 1942 bis 1945 richtete die Nordische Gesellschaft ihr Büro in der Possehl-Villa ein, nachdem ihr Stammhaus in Lübeck in der Bombennacht zu Palmarum 1942 zerstört worden war. 1945 endete die Tätigkeit der Norddeutschen Gesellschaft.
Nach 1945 gab es in der Villa u.a. eine Unfallhilfestelle des Roten Kreuzes, Räume für die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft und Unterkunft für Flüchtlinge. Es gab eine zeitlang dort die Arztpraxis von Dr. Schmidt und ein Dr. Hofacker hatte dort seine Zahnarztpraxis. Auch das Lesezimmer der Kurverwaltung war dort. Unter dem Namen Haus Royal ist die Villa seit 1967 im Wechsel Café und Gaststätte gewesen und einige Zeit Domizil der Schlagersängerin Lys Assia. Im Untergeschoss gab es Anfang der 70er Jahre eine Diskothek. Für einige Jahre übernahm dann die Casino GmbH Travemünde die Bewirtschaftung und richtete im Untergeschoss das Kleine Casino ein und im Erdgeschoss das Café mit dem guten Kuchen, der in der Hotelküche des Casinos hergestellt wurde. Vielleicht können sich e inige Anwesende noch an den besonders leckeren Butterkuchen und die Kopenhagener erinnern. Im Obergeschoss wohnten Angestellte des Casinos. Durch Zunahme der Spielbankangebote im Land gab es in Travemünde einen gravierenden Besucherschwund und die Bewirtschaftung des Hauses Royal mußte aufgegeben werden.
Einige Jahre wurde das Haus dann von dem Hotelier Herrn Schulz vom „Hotel Deutscher Kaiser“ bewirtschaftet. Man konnte dort in wunderschöner Atmosphäre Festivitäten wie Hochzeiten, Geburtstage etc. ausrichten lassen. Einige Hotelzimmer wurden für die Unterbringung der Gäste benutzt. Es gab auch kulturelle Veranstaltungen: Konzerte, Vorträge usw., auch Weihnachtsfeiern und Silvesterball. Aus dem neuesten Prospekt kann man entnehmen, dass das Hotel Royal heute von der Familie Sandabad, die auch das „Hotel Deutscher Kaiser“ übernommen hat, bewirtschaftet wird. Wieder wurde vieles geändert. Es gibt keine kulturellen Veranstaltungen mehr, Festivitäten sind nur ab 30 Personen möglich. Bis Ostern ist dort Winterpause, danach gibt es Veranstaltungen während der Saison und am Wochenende Brunch. Das Haus ist auch Weihnachten und Silvester verfügbar.
Eleonore Schumacher
zurück zur Übersichtsseite Portraits Travemünder Häuser