Backbord 14

Travemünder Häuser Nr. 83

Backbord 14

Mit der Entscheidung, das Städtchen Travemünde als Seebad auszuweisen, wuchs die Notwendigkeit, die alten Stadtgrenzen zu sprengen.

Kamen zunächst entsprechende Einrichtungen für Besucher hinzu, wie Logierhaus (später Kurhaus), Schweizerhaus, Badeanstalt, Hansahotel usw.), so wurde Ende des 19.Jahrhunderts die Straßenführung ausgeweitet.

Zunächst wurden Grundstücke an der Strandpromenade, die 1900 befestigt wurde, verkauft.

1904 regelte ein Staatsvertrag zwischen der Terraingesellschaft Neu-Travemünde und dem Staat die Bebauung der sog. Gneversdorfer Feldmark. Das Gelände wurde parzelliert. Die Straßenführung des Parzellierungsplans wies die Form eines Schiffes auf. Was lag näher, die Bezeichnungen der Straßen jenen von Schiffen anzugleichen? Backbord, Steuerbord, Mittschiffs, Achterdeck, Fallreep. Nach dem 2. Weltkrieg kamen noch die Straßennamen Leegerwall, Am Heck, Im Beiboot, Reling und An der Logleine hinzu.

Mit einem Blick auf den Travemünder Stadtplan kann sich auch jeder maritim nicht Bewanderte merken, dass Backbord links liegt und das Heck hinten ist.

Backbord 14

Das Grundstück Backbord 14 wurde also Anfang des 20. Jahrhunderts – genau gesagt im Jahre 1906 – mit einer Villa, so wie es im Bebauungsplan vorgesehen war, bebaut. Das Grundstück erstreckt sich über 748 qm. Die Straßenfront ist ca. 22 m breit. Erstellt wurde das Gebäude in Massivbauweise mit ca. 35 cm starken Außenwänden und einem Mansarddach mit holzverkleideten Giebeln.

Gegenüber befand sich die „Villa Thörl“, die in den 60er Jahren einem Mehrfamilienhaus mit Eigentumswohnungen weichen mußte.

Backbord 14

In den 20er Jahren erwarb es das Ehepaar Martha und Ludwig Kollbohm aus Hagen/Westfalen. Das Gebäude wurde zunächst nur als Sommerhaus benutzt. Erst Anfang der 40er Jahre erfolgte ein Anbau, der der erhöhten Nutzung, nämlich auch als Ingenieurbüro von Kollbohm und Scholtes und dem Familienzuwachs, der Tochter Ottilie, Rechnung trug. Nun betrug die Wohnfläche ca. 155 qm, die sich auf 5 Zimmer zuzüglich der Nebenräume und Veranda verteilten.

Backbord 14

Die Lieferung von Heizmaterial, Koks, Briketts und Eierkohlen erfolgte durch die Firma Possehl bis in die Nachkriegszeit hinein über eine Kohlenklappe. Die Sonnenblumen an der Kohlenklappe wuchsen mannshoch.

Backbord 14Hinter dem Haus wurden Apfel- und Birnbäume gepflanzt, die herrlich blühten. Ebenfalls an der Rückseite, der Südseite, wurden Weinstöcke mit blauen und grünen Reben gepflanzt, die reiche Früchte trugen.
Daneben wurden ein Spalierpfirsichbaum und an der Seite zum Nachbargrundstück Backbord 12 zwei Spaliere Sauerkirschbäume angelegt.
Vor dem Küchenfenster gedieh eine prächtige Mohnblume, die die Besitzer und Besucher immer wieder erfreute.

Später wurde noch ein Rosenstock gepflanzt, der sich zu einer beträchtlichen Höhe entwickelte.

1940 starb Ludwig Kollbohm, so dass seine Witwe Martha zunächst allein in dem Haus wohnte. 1943 verstarb Martha Kollbohm, 1944 Paul Scholtes, Ottilies Ehemann.

Im Jahr 1945 zog Ottilie Scholtes mit ihren beiden Töchtern Helga und Ingeborg, in das Haus ein.

Mit dem Ende des 2. Weltkriegs gehörte Travemünde zur Britischen Besatzungszone. Zum einen besetzten die Briten für ihre Armeeangehörigen etliche Gebäude, vornehmlich in der Kaiserallee.
Zum anderen hatte sich ein riesiger Flüchtlings- und Vertriebenenstrom aus dem Osten nach Westdeutschland bewegt, für die Unterkünfte besorgt werden mußten. Die Briten beschlagnahmten etliche Zimmer des Gebäudes und belegten sie mit fünf Partien mit 13 Personen.

Dass man sich gut verstand, zeigt das Foto einer Weihnachtsbescherung im Wohnzimmer der Familie Scholtes.

Backbord 14 - Weihnachten bei Familie Scholtes

Zeitweilig fand auch eine Cousine der Scholtes, die in Niendorf als Apothekenhelferin arbeitete, Aufnahme. Die Familie Scholtes bewohnte in der Zeit im Parterre eine Küche, in der sich der Kohlenzentralheizungsherd befand.

Nach der Währungsreform 1948 fanden die in dem Haus Backbord 14 befindlichen Flüchtlinge auch eigene Wohnungen, so dass das Haus nun wieder allein von Ottilie Scholtes und ihren beiden Töchtern bewohnt werden konnte. Backbord 14 hatte sich also zum echten „3-Mädelhaus“ entwickelt.
Die beiden Töchter Helga und Ingeborg besuchten in Lübeck die Ernestinenschule. Ihre musikalische Mutter ermöglichte ihnen Klavierunterricht. Erteilt wurde dieser durch die „Butenhamburgerin“ Frau Jischa. Sie wurde mit Servietten und anderen Haushaltsgegenständen bezahlt.

Frau Jischa hatte in dieser Zeit einen Schülerkreis von 5 Mädchen in Travemünde. Unterrichtet wurde jeweils umschichtig bei den Schülerinnen, damit nur einmal geheizt werden mußte. In dem Haus Backbord 14 befand sich ein Blütner Leipzig Flügel. Da auch Ottilie Scholtes selbst Klavierunterricht gab, war Backbord 14 immer mit musikalischem Leben erfüllt.

Ein weiteres Hobby von Ottilie Scholtes war das Bridgespiel. Alle 4 Wochen wurde Backbord 14 zum Spielort.

Nach dem Schulbesuch waren Helga als kaufmännische Angestellte und Ingeborg als Krankenschwester tätig.

1996 starb Ottilie Scholtes. Nunmehr bewohnten die beiden Schwestern Helga und Ingeborg das Haus allein. Helga bewies großes gärtnerisches Talent.

Im Laufe der Zeit wurden allerdings umfangreiche Renovierungsarbeiten erforderlich. Das Gebäude war zwar zwischenzeitlich als einfaches Kulturdenkmal eingetragen, was allerdings nicht mit Auflagen wegen baulicher Veränderungen verbunden war.

Backbord 14

Da Helga sehr krank wurde und in ein Pflegeheim umziehen mußte, wurde das Haus im Jahre 2004 verkauft. Ingeborg Scholtes ist in eine kleinere Wohnung in Travemünde verzogen und konnte daher einen Großteil des Mobiliars leider nicht mitnehmen.

So ging der Flügel auch in die Wohnanlage am Kakenbarch und steht nunmehr bei den Johannitern in Haus 10 im Gemeinschaftssaal. Die Kogge „Santa Maria“ hat mit der Haushaltsauflösung in der „Schiffergesellschaft“ eine neue Heimat gefunden. Weitere Wertgegenstände wie Meißner Porzellan, Gemälde und Leuchter wurden durch das Hamburger Auktionshaus Schopmann versteigert.

Ich danke Frau Scholtes für ihre umfangreichen Informationen und das Fotomaterial.

Rolf Fechner

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