Aus der Geschichte des Busverkehrs
von Lübeck nach Travemünde und der LVG
Zusammengestellt von Wolf Rüdiger Ohlhoff
anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der LVG im Jahr 2021
Teil 1
1924
Am 25. November 1924 fiel der Startschuss. An diesem Tag beschloss der Verwaltungsrat der Städtischen Betriebe Lübeck, „die Einrichtung eines Autobusbetriebes“. Im neu errichteten Betriebshof in der Roeckstraße wurden zuerst die notwendigen Maßnahmen zum Abstellen der Fahrzeuge geschaffen. Das ging ganz problemlos: man überdachte einfach die große Fläche zwischen dem Straßenbahn-Depot und der Materialhalle mit einem auf Ständern stehenden großen Glasdach: fertig war die Laube.
19.07.1925
Nachdem an der Straßenbahn-Endstation in Kücknitz und am Strandbahnhof Travemünde gepflasterte Kehrschleifen angelegt worden waren, fuhr am 19.Juli der erste Linienbus der „Lübecker Straßenbahn“ von Kücknitz über Ivendorf nach Travemünde. Für die 8,2 km lange Strecke benötigte der Bus 22 Minuten. Im Sommer startete immer von Kücknitz aus, im direkten Anschluss an die aus Lübeck kommende Straßenbahn, der Bus nach Travemünde. Die Fahrzeit mit der Straßenbahn vom Geibelplatz (heute Koberg) über die Trave-Drehbrücke nach Kücknitz, mit dortigem Umsteigen in den Bus, und Weiterfahrt zur Endstation in Travemünde am Strandbahnhof dauerte insgesamt 53 Minuten.
1926
Die 1926 gegründete Lufthansa bezog den Flughafen auf dem Travemünder Priwall in ihr Liniennetz ein. Hierfür richteten die „Städtischen Betriebe Lübeck-Autobusbetrieb“ einen Zubringerdienst per Bus vom Lübecker Hauptbahnhof über die Priwall Fähre zum Flughafen Lübeck-Travemünde ein, der von den Lübeckern und Travemündern liebevoll „ Luftibus“ getauft wurde.
1930
Vom Sommer 1930 an wurde zusätzlich ein direkter Bus-Schnellverkehr vom Geibelplatz in Lübeck nach Travemünde eingerichtet. Die Busse hielten nur an der Adolfstraße in Lübeck und an der Kreuzwegbrücke kurz vor der Trave-Drehbrücke. Diese Fahrt dauerte 34 Minuten.
1931
Im Sommer 1931 wurde dieser Schnellverkehr bis zum Mühlentor in Lübeck verlängert.
1933
Ab 1933 fuhren alle Busse nach Travemünde als Linie 7 vom Mühlentor aus.
1939
Mit Ausbruch des 2. Weltkrieges am 1. September musste die Busverbindung nach Travemünde eingestellt werden, da jeder Parallelverkehr aus Ersparnisgründen von der Reichsregierung verboten wurde: wer nach Travemünde wollte, konnte mit der Eisenbahn fahren.
Nach dem Kriege konnte die Linie 7 dann von den Stadtwerken wegen fehlender Buskapazitäten nicht mehr bedient werden und jetzt schlug die Stunde von Ernst Wendelborn.
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Aus der Geschichte der Firma Wendelborn, später LVG
1914
Fährmann Peter Wendelborn, der Vater des Firmengründers Ernst Wendelborn, war Pächter der Priwall-Fähre, erst mit einem Ruderboot, dann mit einer Kettenfähre.
1921
Im Jahr 1921 gründete der Schlossermeister Ernst Wendelborn die Fa. „Ernst Wendelborn Reparaturwerkstatt“ in Travemünde. Die Geschäftsadresse war das Wendelborn‘sche Wohnhaus in der Vorderreihe 13. Die Werkstätten befanden sich in der Kurgartenstraße 16. Später wurde die Firmenbezeichnung geändert in: Ernst Wendelborn-Autovermietung und Reparaturwerkstatt.
1925
Ernst Wendelborn gab seine Reparaturwerkstatt auf, die Firma hieß jetzt nur noch „ Ernst Wendelborn-Autovermietung“. Im Verlauf des Jahreskam dann als weiterer Geschäftszweig ein Taxenbetrieb dazu.
1927
Seit 1927 gab es einen zusätzlichen Zubringerbus vom Hamburger Hauptbahnhof zum Flugplatz auf dem Priwall, den die Fa. Wendelborn bis zum Jahr 1934 betrieb. Dann stellte die Lufthansa den zivilen Flugbetrieb von und nach Travemünde ein, und der Flugplatz auf dem Priwall wurde von der Erprobungsstelle zur See (E-Stelle) übernommen.
1935
Es erfolgte die Umbenennung der Firma in „Ernst Wendelborn – Omnibus-Reisedienst“. Wendelborn kaufte seinen ersten Reisebus. Der Wagenpark wuchs bis 1939 auf 8 Fahrzeuge an, mit denen Reise- und Gelegenheitsverkehr betrieben wurde.
1939 bis 1945
Während des Krieges verfügte Wendelborn nur noch über drei Omnibusse, mit denen im Auftrag der Deutschen Wehrmacht Zubringerfahrten mit Fremdarbeitern aus Mecklenburg zu den Rüstungsbetrieben der Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik in Lübeck-Schlutup geleistet werden mussten.
01.06.1945
Die erwähnten drei Omnibusse hatten auf wundersame Weise die Kriegsjahre ohne größere Schäden überstanden. Nach dem Krieg hatte Lübeck ungeheure Flüchtlingsströme aufzunehmen. Viele von ihnen kamen mit dem Schiff aus den Ostgebieten in Travemünde an und wurden auf dem Priwall untergebracht. Die Fa. Wendelborn wurde kurz nach Kriegsende im Mai 1945 von der britischen Besatzungsmacht aufgefordert, Flüchtlinge mit den drei verbliebenen Bussen von und nach Lübeck zu befördern und so den örtlichen Personen-Nahverkehr quasi wieder in Gang zu bringen. Hieraus entwickelte sich ein Linienverkehr, der am 01.06.1946 offiziell von den Briten mit zwei Abfahrten von Travemünde nach Lübeck genehmigt wurde. Um mitfahren zu können, benötigte man einen Bus-Berechtigungsschein, der am Tag vor Fahrtantritt erworben werden konnte. Der Fahrplan vom 11. Juni 1946 wies immerhin schon acht, der vom 03. September 1945 bereits 11 Fahrtenpaare an Werktagen auf.
Abfahrtsstelle der über die Travemünder Allee geführten Linien war in Travemünde die aus dem Jahr 1925 mit Kopfsteinpflaster versehene Wendeschleife vor dem Strandbahnhof. In Lübeck wechselte die Endhaltestelle mehrfach zwischen dem Klingenberg und dem Lübecker Hauptbahnhof. Ab dem Sommer 1946 wurden erstmals auch Fahrten nach Lübeck über die ehemalige „Reichsautobahn“ angeboten. Die Fahrzeit nach Lübeck über Kücknitz wurde zunächst mit 50 Minuten, später dann mit 35 Minuten festgelegt, die Fahrt über die Autobahn nahm 45 Minuten in Anspruch. Im Winter 1946 wurden bei den Briten erstmals von Wendelborn sonntägliche Fahrten beantragt, jedoch von der CCG ( Control Commission for Germany) abgelehnt. Sonntägliche Fahrten gab es erst ab dem 18.07.1948.
Zu den „Neuerwerbungen“ des Wendelbornschen Busfuhrparks zählte auch ein Büssing-Eindecker, Wagen Nr.2, der zunächst mit einem Holzvergaser ausgerüstet war. Das Holz für den sogenannten „Holzkocher“ wurde übrigens in heimischen Backöfen bei Wendelborns getrocknet. – eine völlig neue Betrachtungsweise des Nazi-Begriffes „ heimische Brennstoffe“. Busse mit Anhängern waren damals noch „Gang und Gebe“, wurde doch dadurch das Platzangebot auf 60 Sitzplätze erhöht. Diese Anhänger mit zwei Schiebetüren waren damals das Modernste, was es auf dem Markt gab. Eine Weiterentwicklung unterblieb, da die gesetzlichen Bestimmungen den Anhängerbetrieb ab Ende der 50er Jahre verboten.
Nach langwierigen Verhandlungen konnte endlich der Bau eines Betriebshofes Anfang 1946 am Gneversdorfer Weg in Angriff genommen werden. Aber erst musste das Gelände „urbar“ gemacht werden, lag es doch zur Hälfte auf einer stillgelegten Schuttkuhle.
Ende 1946 konnte man mit dem Büro und den Bussen ins neue Quartier umziehen. Zuvor wurden die Busse überwiegend um die Kirche herum geparkt, sozusagen auf der Straße. Wertvolle „Aufbauhilfe“ für den Bau des neuen Betriebshofes leisteten hierbei die verwaisten Hallen des ehemaligen Flugplatzgeländes der E-Stelle auf dem Priwall. Konnten doch etliche brauchbare, damals unbezahlbare, weil nicht zu bekommende Teile, wie Träger, Falt- und Schiebetore nebst Dachelementen in den Neubau integriert werden. Die ausgebauten Teile wurden den neuen Gegebenheiten angepasst, und bald standen die Busse im „Trockenen“. Die Teileverwertung vom Priwall war gerade noch rechtzeitig vorgenommen worden, wurden doch kurze Zeit später die Hallen auf dem Flugplatzgelände von den Briten gesprengt.
Ersatzteilbeschaffung damals
Wie bei vielen Unternehmen kurz nach dem Krieg war auch der Wagenpark der Fa. Wendelborn nicht mehr der Jüngste. Verstärkt durch die hohe Beanspruchung war der Busbestand relativ störanfällig. Da hieß es dann: nachts reparieren und tagsüber fahren. Als wieder einmal einer der „Berliner Doppeldecker“ schlapp gemacht hatte, ein Stirnrad für ein Differential war hinüber, mussten aus Berlin Ersatzteile her. Aber womit das teure Getriebe bezahlen? Da hatte der Mitarbeiter Schipior eine tolle Idee. Zu jener Zeit befand sich die Wohnung und Geschäftsstelle der Wendelborns in der Vorderreihe 13. In unmittelbarer Nähe hatten die Kutter der aus Pommern vertriebenen Fischer ihren Liegeplatz. Hier wurde auch der Fang angelandet. Die Fischer durften die Toilette der Wendelborns benutzen, und dafür gab es als Gegenleistung frischen Fisch. So fuhren dann Chef Wendelborn und sein Mitarbeiter Schipior mit einigen Eimern Hering „bewaffnet“ nach Berlin, um beim Bushersteller Orenstein & Koppel Ersatzteile einzukaufen: also Naturalien gegen Differential-Zahnrad. Das Tauschgeschäft klappte bei der Fischknappheit im Nachkriegs-Berlin, und der erste Kontakt zwischen LVG, O&K und der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) war für eine langjährige geschäftliche Partnerschaft geknüpft.
1947
Im September wurde die Linie nach Timmendorfer Strand eröffnet und ab 15. Oktober erfolgte die Einführung der Linienbezeichnung A (über die Autobahn) und der Linie B (über das Burgtor). Diese Bezeichnungen sollten über 45 Jahre Bestand haben. Erst mit dem Sommerfahrplan 1955 erhielt die Timmendorfer Linie ihr „C“.
1948
Am 01.09.1948 erhielten die Linien A und B ihre neue Endstation in Lübeck: den Schrangen, direkt neben dem Karstadt-Kaufhaus und gegenüber der Marienkirche.
01.01.1949
Die OHG „Lübeck-Travemünder Verkehrsgesellschaft, Ernst Wendelborn und Söhne“ nahm an diesem Tag ihre Arbeit auf. Die LVG baute in den 1950er Jahren einen Reisedienst mit Fahrten in ganz Europa bis hin nach Nordafrika auf. Über längere Zeit zog sich ein Streit zwischen der LVG und den Busbetrieben der Stadtwerke Lübeck hin. Die Stadtwerke hatten vergeblich versucht, die Konzession für „ihre Busstrecke“ von Lübeck nach Travemünde zurück zu bekommen. Argwöhnisch beobachtete man den Konkurrenten, ob der sich auch an das vereinbarte „Zwischenbedienungsverbot“ hielt. So durfte der LVG-Bus nach der Abfahrt von den Schrangen nur einen Zwischenstopp im Lübecker Stadtgebiet am Radbruch-Platz zur Aufnahme von Fahrgästen machen. Der Fahrkartenverkauf erfolgte an Bord des Busses durch eine adrett in Uniform gekleidete Schaffnerin mit Schiffchenmütze.
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Quellenangabe:
UT Travemünde
Gedenkschrift LVG- 75 Jahre 1921—1996
„100 Jahre Nahverkehr in Lübeck“ Wolf-Rüdiger Saager – Verein Lübecker Verkehrsfreunde e. V.
Archiv der Hansestadt Lübeck
Archiv der LVG mit Unterstützung des Stadtverkehr Lübeck, Büro für Öffentlichkeitsarbeit
Abdruck der Fotos mit freundlicher Genehmigung der Presseabteilung von „Lübeck-Verkehr“
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