Aus Travemünde
von Emanuel Geibel

Liebster, du sendest mir freundlichen Gruß und fragst mich mit Anteil,
Wie mir die Stille behagt, seitdem am Ufer der Ostsee
Auszuruhen der Arzt mir gebot, und was ich beginne?
Wenig genug in der Tat, doch das Wenige gänzlich nach eignem
Wohlgefallen einmal und befreit von mancherlei Plage,
Die mich zu Hause verfolgt. Hier drängt kein fader Besucher,
Um von Literatur, Jesuiten und Aktienschwindel
Gleich Geistloses zu schwatzen, sich auf, kein klimpernder Nachbar
Scheucht mir die Muse hinweg mit nie abreißendem Walzer,
Kein langweilig Geschäft, das anspruchsvoll an die Tür pocht,
Hält mich plötzlich zurück, wenn die sonnige Frische des Morgens
Dringend ins Freie mich lockt. Und köstliche Juniustage,
Golden und blau, stets wieder erfrischt in leichten Gewittern,
Gönnt’ uns der Himmel bis heute. Auch fand ich ein wohnlich Quartier aus,
Wie’s dem Poeten gefällt, nicht schmuckvoll, aber behaglich,
Ostwärts schauend, mit breitem Altan, an der Mündung des Hafens,
Nahe den Gärten des Bads und dem schlank aufsteigenden Leuchtturm.

Süß ist’s, müßig zu gehn nach dem Drang anstrengender Wochen.
Morgens ein Buch des Homer, aus Shakespeare abends ein Aufzug
Weiht und beschließt mir würdig den Tag. Im übrigen halt ich,
Nur mit Wetter und Wind, mit Sonn’ und Wasser verkehrend,
Alles Gedruckte mir fern, kaum daß nach Tisch ich die Zeitung
Rasch durchfliege, zu sehn, ob Bismarck etwa, des Reichstags
Donnerer, wieder einmal die olympischen Locken geschüttelt,
(Zwar drei Haare nur sind’s, wie es heißt, doch sie wirken das gleiche)
Was in Paris durch die Gassen man schreit, was heimlich in Rom spinnt,
Oder – es bleibt ja zuletzt sich selbst doch jeder der Nächste –
Ob im Theater ein Stück mir durchfiel oder beklatscht ward.
Aber der Seewind weht und verweht Politik und Kritik mir.
Prächtig entfaltet das Meer im Juwelengeschmeide des Mittags
Ringsher seinen unsterblichen Reiz, und willig gefesselt
Leb ich in süßem Vergessen dahin und genieße der Stunde.

Bald in den sonnigen Tang am flacheren Strande gebettet
Saug ich den Atem der Flut und vertiefe mich still in den Zauber
Ihres Farbengewogs, wie sie leis aufrauschend heranschwillt,
Vorn wie Opal, malachitgleich dann, dann tiefer smaragdgrün,
Bis sie zuletzt unermeßlich sich dehnt in dunkelnder Ferne
Blau, wie gediegener Stahl. Bald wandr’ ich am Fuße des schroffern
Felsgleich starrenden Ufers entlang, im schlüpfrigen Meersand
Zwischen Quellen und Kies nach Bernstein suchend und Muscheln
Sammelnd, wie ich als Knabe getan (es ergötzt mich noch heute),
Oder vom weitvorspringenden Damm, wo stärker die Woge
Am Gequader sich bricht und über der rollenden Brandung
Weißaufspritzendem Gischt mit Gekreisch hinflattert die Möwe,
Blick’ ich hinaus in die offene Bucht und sehe die Schiffe
Wechselnd kommen und gehn, schwangleich mit schimmernden Segeln
Diese, die andern mit Rädergebraus und keuchendem Schlote,
Draus das Gekräusel des Rauchs aufstrebt wie ein schwankender Helmbusch.
Majestätisch ziehn sie dahin, mit der wimpelnden Flagge
Prunkend, wie sie der Stolz seemächtiger Völker und jetzt auch
Wieder des unsrigen ist, die gehügelte Flut aufpflügend,
Daß sie in Furchen von Schaum breit nachwallt. Aber dazwischen
Tanzt manch ruderndes Boot, und die hurtigen Barken der Fischer,
Braunbeschwingt wie die Schwalben der See, schrägstehenden Mastes,
Schießen vorüber im Flug. Doch wenn dann frischer am Abend
Aus Nordosten der Wind herbläst und die Stimme der Brandung
Dumpfer ertönt, da besteig ich zur Fahrt wohl selbst mit dem alten
Norwegsteurer den Kahn, und im Spätrot über der Tiefe
Kreuzend wiegen wir uns, von der schluchzenden Welle geschaukelt,
Bis im Duft uns die Küste verschwimmt und in purpurner Dämmrung.
Rings dann Himmel und Flut und feierlich Brausen, da schwillt mir
Weit vom mächtigen Hauche die Brust, das Unendliche schauert
Dunkel empfunden mich an, und erquickt aufatmet die Seele.
Dann aus Nebeln des Meers auftauchend grüßt mich die Muse
Wohl mit verheißendem Blick, und wie ferne Musik auf der Nachtluft
Fittichen schwebt, undeutlichen Klangs, so regt sich die Ahnung
Künftiger Lieder in mir, noch wortlos. Aber indessen
Hat mein Lotse das Segel gewandt, aus Lämmergewölken
Steigt ins Blaue der Mond, und das glühende Auge des Leuchtturms
Streift mit zitterndem Glanz das Gewog und leitet uns heimwärts.

Sieh, so rollen die Stunden dahin in steter Verwandlung,
Aber sich gleich an Reiz, und rasch vollendet der Tag sich;
Einsam zwar, doch bescheid ich mich gern. In gesammelter Stille
Fühlt’ ich mich glücklicher stets, als im summenden Schwarm der Gesellschaft,
Der zum Ernste zu träg und zu steil für den Scherz; es genügt mir,
Wenn mich bisweilen ein Freund heimsucht, beim Becher zu plaudern.
Laß mich denn immer der stärkenden Rast fortschweigend genießen,
Löst sich der Druck doch schon der erschütterten Nerven, und freier
Täglich erheb ich das Haupt; vielleicht auch glückt mir im Schweifen
Zwischen Wellen und Wind ein Gesang noch, der dich erfreu’n mag.

Sommer 1872

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