Der Brand von Travemünde (1522)

Es ist der 23. Juni 1522. Im Travemünder Hafen liegt ein Flotte von 13 Orlogschiffen an den Pfählen vertäut. Sie ist von Lübeck ausgelaufen, um Gustav Wasa in seinem Kampf gegen den Dänenkönig zu helfen. In Travemünde will man noch Pulver und Proviant an Bord nehmen.

Auf dem Deck eines Schiffes läßt der Segelmacher endloses Tauwerk durch seine schwieligen Hände gleiten, um auch die letzte schadhafte Stelle zu entdecken; hier muß noch gespleißt, dort noch etwas Teer verpinselt werden. Der Stückmeister fährt prüfend über die Klinge seines Zweihänders und mustert sorgfältig Enterhaken, Beile und Morgensterne, während die Waffenknechte die Kanonen einfetten und vorsichtig Pulver und Kugeln unter Deck verstauen. Manches Scherzwort fällt bei der Arbeit; jedermann freut sich über das herrliche Sommerwetter, und alle sind guter Dinge.

Auch an Land ist man froh und vergnügt. Die jungen Burschen und Mädel hören gern die Geschichten der seebefahrenen Kriegsleute, und die Handwerker schmunzeln und reiben sich die Hände. Noch müssen sie zwar schwer schaffen, um rechtzeitig die Wünsche der beiden Befehlshaber zu erfüllen, aber ein reicher Talersegen wird sie für ihre Arbeit belohnen. In der Schmiede glühen Kugeln und Bolzen im Feuer. Eifrig hämmern Meister, Geselle und Lehrling. Besonders eifrig haben es Bäcker und Schlachter, die dafür sorgen sollen, daß man an Bord auf der langen Reise bei den Mahlzeiten nicht nur auf Dorsch und Hering angewiesen ist.

Hinrich Kollmann, der Brauer in der Vorderreihe, hat vom Vogt erfahren, daß er der Flotte das nötige Braunbier liefern solle. Seit dem frühen Morgen steht er am Braukessel, feuert, rührt und läßt Bier in große Fässer laufen. Dichte Dampfschwaden füllen das Brauhaus und hüllen seine Gesellen in Nebel, daß manchmal einer den anderen nicht sehen kann. Zum Mittag gönnt Hinrich Kollmann sich die erste kleine Pause. Er öffnet das Fenster, lehnt sich hinaus, um frische Luft zu schöpfen, und freut sich, daß die leichte Ostbrise in all der Hitze ihm Kühlung bringt.

Da brüllt auf einmal ein Geselle: „Feuer! Meister! Feuer! Feuer!“ Unbemerkt in all dem Qualm ist etwas von der Glut aus dem Ofen gefallen und hat an einem Stapel Brennholz weiter geschwelt. Von dem Luftzug wird die Glut zu Flammen entfacht, die sofort bis zur Decke emporschlagen. Hinrich Kollmann und seine Gesellen gießen ein paar Eimer Wasser in die Flammen und kippen auch einen Bottich mit quatschnasser Gerste über die Glut. Schließlich schütten sie gar das frische Bier in das Feuer. Aber vergebens. Schnell erkennen sie, daß sie den Brand nicht mehr löschen können. Schon brennt die Decke, gierig lecken einzelne Flammen nach dem Strohdach. Der Brauer stürzt die Treppe hinauf, um Frau und Kind aus den oberen Wohnräumen zu retten, während die Gesellen mit dem Schreckensruf: „Feurio! Feurio!“ auf die Straße rennen.

Auch auf den Schiffen sieht man, daß die hellen Flammen lodern und dichte Rauchwolken aufsteigen. Bootsleute und Waffenknechte hasten über den Laufsteg an Land. Einige greifen nach Löscheimern, schöpfen gleich im Hafen Wasser und sind in wenigen Sätzen beim Feuer. In den Straßen wird es lebendig. Das dienstfreie Fußvolk, das hier und da in kleinen Trupps mit jungen Burschen und Mädeln scherzt und lacht, jagt zur Brauerei. Ihm folgen Travemünder, die mit ihren Ledereimern überall aus den Werkstätten und Stuben herausstolpern. Im Handumdrehen bilden sich zwei, drei Ketten vom Hafen zum Brandplatz, und die Eimer fliegen von Hand zu Hand, um Wasser herbeizuschaffen.

Aber schon schlagen die Flammen hinüber zum strohgedeckten Nachbarhaus. Die Sommersonne und der frische Ostwind sind dem Feuer gute Verbündete. Das ausgedörrte Gebälk des Dachstuhls brennt lichterloh, und als eine Wand prasselnd zusammenstürzt, wirbeln die Funken auf, geistern durch die schwarzen Rauchwolken und werden vom Wind in die Hinterreihe getragen. Im Nu stehen auch hier drei Häuser in Flammen.

Da erkennt man, daß man gegen das Feuer machtlos ist. Es kommt nur noch darauf an, möglichst viel Hausrat zu retten. Mutig dringen die Männer in die brennenden Wohnungen und schleppen Schränke, Tische und Stühle auf den Fahrdamm. Aus schweren Truhen wird weißes Linnen und Wolle geborgen und achtlos auf die Straße geworfen. Töpfe und Pfannen fliegen hinterher, und bald türmen sich Berge von Möbeln, Wäsche und Geschirr auf den Wegen.

Ängstlich brüllen die Kühe in den Ställen, und die Pferde zerren wild an ihren Ketten, bis sie auf die Straße geführt werden. Schweine und Ziegen werden ins Freie getrieben, und das Federvieh flattert kopflos hin und her.

Böen jagen in heftigen Stößen durch die Gassen, wirbeln durch Höfe und Winkel und reißen die Schwaden hoch in den Himmel. Sie treiben eine Wolke von Qualm und Funken zum Hafen, wo die Takelage einer Kogge Feuer fängt. Einen Augenblick schwelt es auf Stengen und Rahen. Dann fährt der Wind in die Glut, und bald züngeln Flammen über die klatschenden Segel. In feurigen Fetzen flattert ein Vorsegel an Deck. Alle greifen nach Spießen und Stangen, um die brennende Leinwand über Bord zu stoßen. Da fällt aus allen Masten zugleich Feuer auf das Schiff. Teer und Tranfässer geraten in Brand. Brennendes Öl breitet sich über die Planken aus, tropft in Luken und Niedergänge und kommt in die Nähe der Pulverkammern. Jetzt ist das Schiff nicht mehr zu retten, und in wilder Hast drängt die Besatzung von Bord.

Einige Männer rutschen an Tauen in die Beiboote, andere erreichen noch den Laufsteg, der Rest springt einfach ins Wasser und erreicht schwimmend das Bollwerk. Ähnlich ergeht es vier weiteren Schiffen.

Um den Rest der Flotte in Sicherheit zu bringen, muß versucht werden, die Schiffe von den Pfählen und vom Ufer loszubinden. Es ist keine Zeit mehr, die Leinen richtig loszuwerfen und einzuholen. Die Bootsleute kappen mit Äxten, Messern und Enterbeilen armdicke Haltetaue, und der einlaufende Strom treibt die Kriegsschiffe glücklich in die Siechenbucht.

 

De Brand van Travemünde
1522

Do men schref dat fefteynhundert twe un twentigste jar,
kem over Travenemunde en grot gevar,
dat wol de gantze stede neder brande
un it vel schaden gaf tho water unde tho lande.

Dat fur was also vreislyken grot,
it brachte weldich bedrovlyke not,
do vel drade dat holt an tho bernende fung
unde dat fur van schepe tho schepe sprung.

Do barsten de vatten, de vul pulver weren,
dat men it lut unde wit konde hoeren.
De vlammen sprungen ock uppe de huse
unde rokeden jewelich ut as de muse.

De waar, de gespikert lach up deme land,
vorbarnde sunder helpe all tohant.
Vele lude vorloren almestich er gut,
de togen van Travenemunde na Lubeke ut.

(Mittelniederdeutsch)

fur: Feuer, vreisliyken: schrecklich, weldich: gewaltig; vel drade: sehr schnell; to bernende: zu brennen; vatten: Fässer; jewelich: jeglichen; vorbarnde: verbrannte; sunder: ohne; almestich; gänzlich. Der Umlaut ü und ö wird in den alten Texten nicht bezeichnet, dafür wird also u und o geschrieben.

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