Die Festung Travemünde Teil 2
1812 befürchteten die Franzosen, daß die Engländer mit ihrer Flotte Travemünde angreifen könnten. Sie bauten deshalb nach den Plänen der Oberleutnante Vinache und van der Wyck eine Zitadelle in der Form eines unregelmäßigen Achtecks. In der Mitte wurde ein Blockhaus errichtet, das aus Mauersteinen gebaut war. Das Blockhaus war zweistöckig und mit Schießscharten nach allen Richtungen versehen. Um das Haus war ein besonderer Graben gezogen, der vier Meter tief war. Nach innen war dieser Graben mit Quadersteinen abgegrenzt, nach außen mit einer Mauer von Ziegelsteinen. Der äußere Graben war zudem noch geschützt durch Sturmpfähle. Der einzige Zugang zur Zitadelle lag nach dem Ort zu. Er führte über eine Zugbrücke. Als Material zu diesem Bau diente das abgebrochene äußere Mühlentor, das äußere Burgtor und die Burgtorbrücke in Lübeck. Die Arbeiten wurden größtenteils von Bewohnern des Lübecker Randbezirkes, auch von solchen vor dem Mühlentor, ausgeführt. Eine Entschädigung wurde für die Arbeit nicht gezahlt.
Als die Franzosen Travemünde verlassen hatten und die Schweden eingerückt waren, nahm man die 1803 begonnene Entfestigung wieder auf. Man begann mit dem Blockhaus in der Zitadelle, das für 9.000 Mark gebaut war und nun 600 Mark erbrachte. 1815 wurde das verfallene Lübecker Tor abgebrochen. Die ebenfalls baufällige Zugbrücke wurde durch eine feste Brücke mit Gittertor ersetzt. Nach und nach verfielen die Zugbrücke zur Zitadelle, das Leuchtentor, das Stauwerk und das Travebollwerk. Deshalb wurden der Teil der Zitadelle, der nach der Stadt zulag, abgetragen und der Graben damit zugeworfen. Dann wurde das Leuchtentor abgebrochen. Mit den Quadern und Feldsteinen wurde der Marktplatz gepflastert. Dann beseitigte man das Sandtor, weil das Grabenwasser nicht abfließen konnte und gesundheitsschädlich war. Durch die Schanze wurde sodann ein Fahrweg nach dem Leuchtenfelde gebaut. Am Ende des Weges war eine Torschranke, damit nicht geschmuggelt werden konnte. Es galten für diese Schranke die gleichen Sperrzeiten wie für das Lübecker Tor. Aber im Sommer blieb die Schranke immer geöffnet. 1817 wurde der Platz der Zitadelle zur Bebauung freigegeben. Ausgenommen blieben der Platz, auf dem das Lotsenzeichen stand, und der, der den Lotsen als Beobachtungspunkt diente, die Redoute.
1822 ließ der Stadthauptmann v. Duhn, dem die Grasnutzung auf dem Wall zustand, auf eigene Kosten die Brustwehr abtragen, um seine Einnahmen zu vergrößern. Als eine neue Lotsenbake errichtet war, konnte auch der Platz des Lotsenzeichens bebaut werden. 1832 wurde der noch vorhandene Teil der Zitadelle eingeebnet. Der Stadtwall selbst ist durch die Bebauung gefallen, der Rest wurde 1832 beim Bau der Eisenbahn zerstört.
1848 wurde noch einmal eine langgestreckte Verschanzung auf dem Leuchtenfelde errichtet, die aber trotz der 16 Geschütze kaum einen Kampfwert hatte. 1853 wurde alles vorhandene Material verkauft.
1862 beabsichtigten die Preußen, auf dem Leuchtenfelde ein Fort zu bauen. Mit Rücksicht auf den Ort unterblieb dies aber.
Auf dem Leuchtenfelde befand sich früher die Vogelstange. Sie war gleichzeitig Richtungszeichen für die Schiffer. Hier fand viele Jahrzehnte hindurch das Bürgervogelschießen statt.
Der tiefere Sinn dieser Veranstaltung ist darin zu suchen, die Bürger des Ortes so zu halten, daß sie ihn verteidigen konnten. Sie mußten also im Gebrauch der Waffen geübt sein. Das mag bewiesen werden durch ein Schreiben aus dem Jahre 1764, das der Stadthauptmann Zitschy verfaßte, und in dem er sagte, daß das Vogelschießen den Zweck habe, die Bürgerkompanie so in Ordnung zu haben, daß jeder weiß, welche Aufgaben er zu erledigen hat und nicht alles in Unordnung und Unwissenheit vorfindet. Die Bürgerkompanie ist der Zusammenschluß aller der Einwohner des Ortes, die ihn zu bewachen bzw. zu verteidigen hatten. Zum Bürgervogelschießen trat aber nicht die ganze Kompanie an. Verpflichtet zur Teilnahme waren die drei Bäcker des Ortes, einer der drei Schlachter und einer der drei Schneider. Wenn von einem Handwerk nur ein Mitglied am Orte war, so mußte er jedes zweite Jahr antreten. Die zehn Waden hatten zehn Fischer zu stellen. Die Teilnahme wurde durch die Bitte um Bewilligung des Königsgewinnes festgesetzt. 1612 gab es zuerst Streitigkeiten über das Bürgervogelschießen, weil die Fischer erklärten, daß sie allein nach dem Goyen, dem Papageien auf der Stange, schießen wollten. Die Fischer verpflichteten sich, allein 50 Mann zum Schießen zu stellen. Die übrigen Schützen waren aber damit nicht einverstanden und beschwerten sich beim Rat in Lübeck. Sie behaupteten, daß der silberne Papagei, das Symbol der Königswürde, nicht etwa den Fischern, sondern den Schützen gehöre. Es ist nicht bekannt, wie der Streit endete.
Allmählich wurde aber die Zahl der Schützen zum Leidwesen derer, die davon wurden, erhöht. Jeder Schütze mußte nämlich für die Unkosten des Vogelschießens ½ Reichstaler zahlen. 1694 weigerten sich einige Teilnehmer, diesen Betrag zu zahlen. Da setzte die Kämmerei in Lübeck fest, daß die ursprüngliche Regelung weiter gelten sollte, nämlich daß die Schiffer, Höker, Gasthofbesitzer und Landbesitzer ½ Reichstaler zu entrichten hätten. Gleichzeitig konnten alle Bürger am Vogelschießen teilnehmen. Auch die Witwen mußten ihren Beitrag zahlen, doch konnten sie einen anderen Bürger für sich schießen lassen. 1725 wurden die Witwen von der Zahlung des Beitrages aus Billigkeitsgründen befreit.
Die Schützen wurden vorher vor die Vogtei geladen, wo mit ihnen die Abhaltung des Vogelschießens besprochen wurde. In ruhigeren Zeiten wurde oft mehrere Jahre hindurch das Vogelschießen ausgesetzt. Zwei Schaffer bereiteten das Fest vor. Der Königspreis, der von der Kämmerei gestiftet wurde, war 1½ Ellen englischen Tuchs, später wurden hierfür 12 Mark gezahlt. Außerdem wurde dem Schützenkönig die Abgabe für das Land, die sogen. Erdhäuser, für das Jahr seiner Würde erlassen. Wer keinen Grundbesitz hatte, konnte dafür ein anderes Haus wählen, für das die Abgabe erlassen wurde. Schließlich war er noch befreit vom Grabengeld und vom Wachgeld für ein Jahr.
Der Verlauf des Vogelschießens war durch eine Verordnung geregelt. Die erste dieser Verordnungen stammt aus dem Jahre 1611. Sie wurde im Laufe der Jahre mehrfach erweitert und 1729 neu formuliert. Danach sollten die Schützen sich zum Aufmarsch vor der Vogtei versammeln. Schießen durfte nur der, der auch am Auszug beteiligt war. Das Schießen erfolgte mit Gewehren bestimmter Weite und Geschossen bestimmten Gewichtes. Der Rückmarsch geschah wieder geschlossen. Damit der König nicht zu große Ausgaben hatte, sollten die, die ihn nach Hause brachten, nur mit einem Glase guten Bieres bewirtet werden. Früher hatte er einen Schinken, zwei Mettwürste und eine Tonne Eier zu geben.
Die Königswürde wurde gekennzeichnet durch einen silbernen Vogel mit einer Flöte, der gezeichnet war „Papageis nova travemundensis 1611“. Jeder König bereicherte die Königskette um ein Silberschild, das seinen Namen und seinen Beruf enthielt. Die Kette hatte 1804 das ansehnliche Gewicht von 4 Pfund 13 Lot. 1813 wurde sie zusammen mit dem Zinnzeug, das 154 Pfund wog, und den silbernen Sachen des Kindervogelschießens, bestehend aus dem Vogel der Kette mit den Schildern im Gewichte von 1 ½ Pfund, geopfert, um die Hanseatische Legion auszurüsten.
Nach dem Fest fand noch ein Zechgelage in der Vogtei statt, bei dem das Zinnzeug gebraucht wurde. Stadthauptmann Mollwo schreibt darüber 1755, daß es bei dem Gelage, wie auch schon vorher auf dem Leuchtenfelde oftmals zu lebensgefährlichem Zank und Streit gekommen sei.
Das Vogelschießen hatte dann seine Bedeutung verloren, als die Bürger nicht mehr allein die Stadt verteidigen konnten. Deshalb wurde es auch oft jahrelang nicht durchgeführt, und 1804 ließ man es gänzlich eingehen. Man schob die Unsicherheit für die Badegäste und die Kosten für die Einrichtung vor. Statt dessen genehmigte man ein Scheibenschießen. Mit der Franzosenzeit war auch das vorbei.
In den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts versuchte ein Travemünder Gastwirt, das Vogelschießen wieder aufleben zu lassen. Es bildete sich eine Schützengilde, die wieder eifrig nach dem Vogel schoß. 1935 bis 1938 wurde dieses private Vogelschießen zu einer Ortsangelegenheit mit Karussel und Buden.
– Ende Teil 2 –
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