Travemünde und seine Befestigungen um 1630

Die Festung Travemünde

Erschrecken Sie bitte nicht, lieber Leser, es handelt sich nicht um einen Bericht über die Travemünder Woche, obwohl es für viele auswärtige Besucher dann ziemlich schwierig ist, wegen der vielen verwirrenden Verkehrszeichen, meistens Verbotsschilder, nach Travemünde hineinzukommen. Nein, unser Bericht soll Sie darüber aufklären, welche militärische Bedeutung der Ort an der Travemündung bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts hatte.

Am Anfang, im Jahre 1187, als Graf Adolf III. von Schaumburg-Lippe, genannt der Holsteiner, Travemünde gründete, schützte ein Bollwerk diesen strategisch wichtigen Punkt am Eingang des MARE BALTICUM, der Ostsee. Daraus entwickelte sich im Laufe der späteren Jahrhunderte die von Festungsanlagen umschlossene Stadt Travemünde, die für Lübeck von außerordentlicher Wichtigkeit war. Dieser Sachverhalt wird allerdings von unserer heutigen Lübecker “Regierung” nicht mehr honoriert, obwohl die Travemünder deswegen viel Not und Unbill ertragen mußten, wohlgemerkt zum Schutze von Lübeck.

Der vielen alten Travemündern noch bekannte, schon lange verstorbene Lehrer Anton Meyer hat in den Jahren nach 1945 ein Heimatkundebuch für die Travemünder Schulen geschrieben, das leider nie herausgegeben wurde, in dem er u.a. auch die Entwicklung der Travemünder Befestigungsanlagen beschreibt.

Diese sicher für manchen Leser sehr interessanten historischen Erkenntnisse wollen wir Ihnen nicht vorenthalten.

Anton Meyer berichtet also:
Mit der Befestigungsanlage kommen wir zurück auf die Entstehung Travemündes. Ursprünglich war nämlich an der Mündung der Trave ein Erdwerk, das durch einen Turm verstärkt war und den Holsteinern einen sicheren Schutz bot. Schanzen auf dem Priwall und die Müggenburg waren spätere Befestigungswerke, die wir im 16. Jahrhundert vorfinden, als an der Mündung der Trave ein Blockhaus errichtet wurde. Am Ausgang des 16. Jahrhunderts wurde die erste Umwallung aufgeworfen und 1599 ein Blockhaus gebaut, außerdem wurden Schanzen errichtet und Geschütze darauf aufgestellt, weil Thronstreitigkeiten in Schweden Kriegswirren befürchten ließen. Vorher finden wir keinerlei Befestigungen in Travemünde, denn in einer Reisebeschreibung Samuel Kiechels aus Ulm 1586 heißt es, daß Travemünde ein kleines, offenes Städtlein sei. Die aufgeworfenen Schanzen wurden verstärkt durch einen Graben, der sich davor befand. Das Wasser für den Graben lieferte ein Teich im Nordosten des Ortes, der zwei Abflüsse hatte, die man um die Schanzen herumführte. Die Straße nach Lübeck wurde durch das Lübsche Tor gesichert. Wahrscheinlich bestand noch ein zweites Tor am Ostende der Stadt, denn die Travemünder beschwerten sich 1614 über die zahlreichen Wachen, die sie vor den Toren gehen mußten.

Lübeck mußte aber noch weitere Sicherungsmaßnahmen ergreifen, weil es sich durch Herzog Karl von Schweden bedroht fühlte. Deshalb wurden die Besatzungen des Blockhauses verstärkt, die Zahl der Geschütze dort vergrößert und eine neue Schanze am Brodtener Ufer kurz vor dem Seetempel errichtet. Im Blockhause befanden sich sechs gegossene halbe Feldschlangen, zwei große Steinstücke, die 22-pfündige Steine schleudern konnten, eine halbe Kartaune und eine Feldschlange sowie vier Steinstücke, die in der Vogtei untergebracht waren. Die Befestigung am Brodtener Ufer war mit vier Feldschlangen und einer halben Kartaune besetzt und oben in der Festung noch zwei ganze Kartaunen und zwei Feldschlangen. Diese Befestigung war mit 50 Mann besetzt. Der Priwall wies keinerlei Befestigungsanlagen auf. Drohende Gefahr war von dieser Seite aus nicht zu erwarten. Man hatte sogar die Schanzen, die einst an der engen Stelle des Priwalls vorhanden waren, verfallen lassen. Wahrscheinlich war auch ihr Wert für den Fall einer Kampfhandlung nur gering. Auch das Blockhaus war bald kein geeigneter Verteidigungsplatz mehr, da es nach einer Mitteilung aus dem Jahre 1806 stark beschädigt war. Außerdem fehlten auch die Büchsenschützen. Man ging deshalb mit dem Gedanken um, ein neues zu bauen; es wurden auch Meinungen laut, ein steinernes Bauwerk zu errichten. Man konnte sich aber über das zukünftige Bauwerk nicht einigen. Deshalb arbeitete der derzeit in Lübeck weilende Festungsbaumeister Falkenberg, nachdem er die Verhältnisse an Ort und Stelle geprüft hatte, 13 Entwürfe aus, die er einreichte. Der Rat in Lübeck wählte davon einen aus. Das Geld muß zu der Zeit schon knapp gewesen sein, denn 1612 wurde der Bau in Holz ausgeführt. Da der Bau der Befestigungsanlagen viel Geld erforderte, wurde eine besondere Abgabe eingeführt, das Grabengeld. Das mußte für jedes Haus gezahlt werden.

Durch diese Befestigung war wohl der Ort geschützt, aber nicht in genügendem Maße die Trave. Die Dänen hatten sogar 1612 die Mündung gesperrt, damit Lübecks Handel mit ihrem Widersacher, den Schweden, erlahmen sollte. Deshalb wurde im Frühjahr 1613 die Trave selbst durch ein Blockhaus geschützt. Es befand sich auf einer Brücke vor der Vogtei. Dieses Blockhaus war aber von bedeutend geringerem Wert als das an der Mündung. Es stand in der Geschützausrüstung weit hinter dem anderen zurück. 1636 war es mit sechs leichten Geschützen und einem Büchsenschützen ausgerüstet. Der Büchsenschütze hatte nicht nur die Wache im Blockhause, vielmehr mußte von ihm jedes Schiff untersucht werden, bevor es nach Lübeck weitersegelte. Wenn der Schiffer trotz Aufforderung weitersegelte, so wurde geschossen, wofür die Schiffer 1/2 Reichstaler als Unkosten zahlen mußten. Das Blockhaus an der Travemündung, das wieder aus Holz errichtet wurde, ist bei dem großen Hochwasser am 10. Februar 1625 fortgespült worden.

Die Balken und Holzteile fand man später am Techower und Sülsdorfer Ufer wieder. Das eine der beiden Besatzungsmitglieder klammerte sich an einem Balken fest und trieb damit bis nach Dassow. Die Kanonen dieses Blockhauses versanken in die Tiefe. Man fand sie wieder, als das Wasser abgezogen war.

Wenn man auch schon vorher eingesehen hatte, daß die Befestigung nicht mehr ausreichte, um den Ort wirksam zu schützen, wenn man auch schon Pläne und Kostenanschläge bereitliegen hatte, so zwang dieses Hochwasser den Rat, endlich zu handeln.

Kriege drohten, und so mußte man schon großzügig sein. Die Befestigung sollte nun zweiteilig sein. Neben der stärkeren Umwallung des Ortes sollte auch eine wirksame Schanze oder Zitadelle errichtet werden. Man begann zunächst 1625 mit dem Bau der Zitadelle, die an der Trave lag und sich von der heutigen Rose bis etwa zum Lotsenberg erstreckte. Zu dieser Arbeit, die drei Jahre währte, mußten die Dörfer der Umgebung bis nach Siems und Grammersdorf hin Gespanndienste leisten. Die Zitadelle war durch Wälle geschützt, an die sich ein Graben anschloß. Die Verbindung mit der Trave war durch zwei Stauschleusen oder Bären hergestellt. Die Wälle selbst erhielten drei Bastionen, eine um die Trave, eine zweite um das Leuchtenfeld und die dritte, um die Feldmark wirksam schützen zu können. Nur nach dem Ort selbst war keine Bastion, weil sich hieran die Umwallung schließen sollte. Dafür war aber der Wall hier in einer mehrfach gebrochenen Linie aufgeworfen. Der Zugang zur Zitadelle führte durch das steinerne Leuchtentor und über zwei Zugbrücken. In der Mitte der Zitadelle lag eine Redoute, die Müggenburg, die nochmals durch einen besonderen Wall und zwei Zugbrücken gesichert war. In der Müggenburg befanden sich eine Munitionskammer, eine Mühlkammer und ein Ziehbrunnen.

Die Kosten für diese Befestigung waren von der Defensionskasse zu zahlen, die die Mittel durch eine Verdoppelung der Akzise aufbringen konnte.

Die zweite wichtige Aufgabe war die stärkere Befestigung des Ortes. Mit dieser Arbeit begann man 1628. Die Arbeiten wurden vom frühen Frühjahr bis zum späten Herbst fortgeführt. Der in vierjähriger Arbeit errichtete Wall verlief von der Nordwestecke der Zitadelle in westlicher Richtung und bog dann nach Südwesten ab. Dort, wo Wall und Zitadelle zusammenstießen, befand sich eine Bastion, die das nördliche und nordwestliche Vorland beherrschte. Ein weiteres Bollwerk befand sich an der Nordseite des Walles. Der südwestliche Teil schloß den einzigen Zugang, das Lübecker Tor, ein. Das war ein massiver Bau mit Treppengiebel. Dieser Wallteil reichte viel weiter nach Norden, als der Ort heute bebaut ist. In der Siechenbucht, in der er mündete, sorgten Wiesen und Rethflächen dafür, daß der Gegner hier nicht vordringen konnte. Zwei Bastionen schützten das Lübecker Tor noch besonders. Eines dieser Bollwerke lag an der Stelle, an der der Wall die Richtung änderte, ein zweites zwischen Tor und Trave. Vor diesem Wall befand sich ein von der Trave gespeister Graben, der mit dem Zitadellengraben in Verbindung stand. Von der Trave war er durch einen Bären getrennt. Außerdem wurde von der Siechenbucht bis zur Trave noch ein Vorwall mit einem davor liegenden Graben gebaut, der durch drei Zuflüsse gespeist wurde. Da es unmöglich war, auch an der Traveseite eine Befestigung herzurichten, gab man sich damit zufrieden, Sturmpfähle zu setzen. Aber man wußte, daß der Schutz nur ein unvollkommener war. Deshalb richtete man zwei Brücken die vor der Vogtei und die Kranzbrücke, zur Verteidigung ein. Hier waren Geschütze aufgestellt.

Als die Befestigung fertiggestellt war, war Travemünde geschützt, war auch die Mündung der Trave gesichert. Insgesamt waren 66 Geschütze verschiedener Größe aufgestellt. 150 Soldaten schützten die Stadt. Der Lagerplatz der Geschosse befand sich in der Kirche. Hier lagerten 58 Zentner Pulver und 14000 Kugeln für die Musketen.

Kurze Zeit war erst vergangen, als sich herausstellte, daß die Teile, die in die Trave vorsprangen, nicht den Anforderungen genügten. Der Ingenieur Johann von Brüssel entwarf 1644 einen Plan, nach dem ein Damm angelegt und die Bastion verstärkt werden sollten. Hierdurch wurde eine bessere Aufstauung des Wassers im Graben erreicht. Gleichzeitig wurden die Wälle und Bastionen verbessert und die Sturmpfähle durch neue ersetzt. Weil neue Kriege drohten, wurde die Zahl der Soldaten verdoppelt und betrug annähernd 300 Mann. Schließlich begann man, ein neues Verteidigungsmittel zu schaffen, einen großen Kriegsprahm. Dieser sollte auf dem Geschütz aufgestellt und mit Musketieren besetzt werden. Der Bau dieser beweglichen Festung sollte ein Blockhaus auf dem Wasser ersetzen. Wenn kein Krieg droht, sollte der Prahm vertäut vor der Vogtei liegen. Wahrscheinlich war dieser große Prahm bald so unbrauchbar, daß er 1661 bereits durch ein neues Blockhaus ersetzt war.

1667 wartete der Artillerieleutnant Johann Pfannenstiel mit einem neuen Plan der Befestigungswerke auf, weil die Länge der Wälle zu viele Soldaten erforderte. Nach diesem Plan, nach dem auch die Zitadelle zu ändern war, würde man in Friedenszeiten mit 30, in Kriegszeiten mit 70 bis 100 Mann auskommen können. Man benötigte auch nicht mehr die Blockhäuser. Anfangs fehlte das Geld, aber 1669 wurde der Plan Pfannenstiels durchgeführt. An der Trave wurde ein Erdwall aufgeworfen, der die dahinter stehenden Soldaten schützen sollte. Um gegen einfahrende Schiffe wirksam vorgehen zu können, wurde vor dem früheren Leuchtenbollwerk die Front in die Trave hineinverlegt. Das Leuchtentor selbst wurde weiter südlich errichtet. Der frühere Platz dieses Tores wurde durch eine Bastion verstärkt, die aus zwei vorspringenden Linien bestand. Die Wohnungen für den Kommandanten und einen Teil der Unteroffiziere wurden in die Schanze selbst verlegt. Alle übrigen Soldaten wohnten in Privatquartieren in der Stadt. Alle vier Wochen wurden die Soldaten abgelöst.

Diese Befestigung war lange Jahrzehnte zweckentsprechend, und Lübeck hatte nur für die Erneuerungsarbeiten zu sorgen. Dazu wurden oft Strafgefangene verwendet, und von 1729 bis 1778 waren sie sogar in der Schanze untergebracht. 1725 mußte das Zitadellentor wiederhergestellt werden, weil es einzustürzen drohte. 1750 begann man mit der Ausmoddung des Grabens, weil er oft sehr flach und mit Reet bewachsen war, daß ein Anschleichen leicht möglich war. Die Schäden, die durch das Vieh, besonders durch Schweine, aber auch durch Mauwürfe verursacht waren, zwangen zu Maßnahmen gegen diese Urheber. Das Bollwerk an der Trave war durch das Wasser gefährdet. Deshalb mußten 1697 die Sturmpfähle in einer Länge von 687 Metern erneuert werden. Hierzu gab die Brauerzunft einen namhaften Betrag, weil sie den Schmuggel fremden Bieres befürchtete. 1775 mußten die Geschütze an der Trave zum Teil entfernt werden, weil die Erdwälle ins Wasser zu rutschen drohten.

Bis zum Beginn des 19. ]ahrhunderts wurde an der Befestigung nichts geändert. 1801 besetzten die Dänen den Ort. Sie begannen sofort, im Hafen zu schanzen. Auch die Geschütze waren teilweise unzureichend. Die sechs Hansestädte erklärten 1803 die Neutralität. Man begann, um dem auch sichtbaren Ausdruck zu geben, die Befestigungswerke abzutragen. Auch in Travemünde fing man an, die Wälle einzuebnen.

Die Franzosen wußten wohl, wie wichtig ein Schutz des Hafens war. Deshalb sorgten sie dafür, daß die Entfestigung unterblieb. Zwar glaubten auch sie, daß die Befestigung der Stadt bedeutungslos wäre und ließen deshalb einen Teil der Brustwehr abtragen. Die Erde wurde gebraucht, um den Graben bei der Rose zuzuschütten. Dadurch wurde ein neues Ausgangstor nach Norden geschaffen, das sogenannte Sandtor, das durch Sturmpfähle geschützt war und das vor allen Dingen dazu diente, im Ort liegende Truppen schneller nach dem Leuchtenfeld kommen zulassen.

– Ende Teil 1 –

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