„Prinzeß Wilhelmine“

„Prinzeß Wilhelmine“

In den ersten Julitagen des Jahres 1824 befanden sich die Dörfer des Winkels von Brothen bis Israelsdorf beiderseits des Flusses in hellem Aufruhr. Gestikulierende Fischer säumten die Ufer, die Boote wurden hochgezogen und fest vertäut; die Travemünder, die vom Fremdenverkehr lebten, zeigten finstere Gesichter und verfluchten den hartköpfigen Lübecker Senat, der ihnen nun den Brotkorb höher hängen wollte – und selbst die Bauern und Handwerker knurrten und drohten mit den Fäusten.

Was war denn nur in die Menschen des Winkels gefahren? Warum gingen eilige Boten und Ratsdiener hin und her zwischen Schlutup, Travemünde und dem Rathaus zu Lübeck? Warum diese Angst und dieser Ingrimm? –

Am Ufer unterhalten sich der Treidelmeister und Hans Hinrich Främke aus Ivendorf. Man sieht es beiden an, daß sie erbittert sind!

„Die hohen Herren vom Senat verstehen nichts von unserer Trave, sonst würden sie das nie erlauben“, schimpfte der Treidelmeister und blickte sich dabei vorsichtig um, ob nicht zufällig ein Ratsdiener in der Nähe war, „was wird bloß aus unserm Treidelstieg werden, wenn das schnaubende Ungetüm sich hier durch das enge Fahrwasser wühlt und die Wellen haushoch über die Ufer geworfen werden?“

„Dann wird es wohl unseren Wiesen schlecht ergehen“, gab Främke zu bedenken. „Die Travemünder tun mir auch leid. Bisher haben sie doch immer ein paar Pfennige an den Reisenden verdient, wenn sie in Travemünde an Land gingen und auf das Gefährt warteten, das sie zur Stadt bringen sollte. Wenn nun dieses stinkende Schiff gleich bis Lübeck rast, dann ist es mit Travemündes Glanz und Herrlichkeit sowieso bald aus und vorbei.“

„In Travemünde muß der Dampfer anlegen und dort bleiben. Ich sehe es schon kommen, daß die Treidelei auch bald erledigt ist. Da werden die Bauern Pferde abschaffen können, und an Talern wirds ihnen auch bald fehlen.“

„Werden sich die Fuhrleute in der Stadt denn den Dampfer so einfach vor die Nase setzen lassen? Das glaube ich nicht. Die haben doch auch Herren in den Ämtern sitzen. Kein Lübecker wird zur Badezeit mehr das Fuhrwerk bis Travemünde wählen, alle werden sie den Dampfer belegen – nein – was ist das bloß für eine Unruhe und Revolution mit diesem Dampfer!“

„Wie heißt der Kapitän, der uns das alles angerührt hat? Matthias Lov? Den Namen werden wir uns merken müssen, das ist ein Satanskerl. Aber paß mal auf – ich, der Treidelmeister, der ich hier Weg und Steg genau kenne, ich sage dir, der wahnsinnige Lov wird sich festrammen mit seinem Dampfer – um den Bretling kommt er nie herum, wart mal ab.“

„Na, ich weiß nicht“, bedachte sich Främke, „der Lov soll viel verstehen von der Schiffahrt mit Dampf. Aber wie es auch immer ist – was werden die Travemünder Handwerker sagen? Viele Reisende ließen doch ihre Koffer und Gerätschaften in dem Städtchen in Ordnung bringen, ehe sie zu Lande ihre Reise fortsetzten? Und sind eigentlich die Fischer so ganz still dabei?“

„I wo“, lachte der Treidelmeister. „Die haben schon an den Senat geschrieben, daß die junge Fischbrut von den Teufelsrädern vernichtet würde, daß natürlich auch das Reet bewegt würde und die jungen Fische allesamt zum Teufel gehen müßten – aber Ein Hoher Senat hat das nicht einsehen wollen. Das kommt davon, wenn kein Fischer im Senat sitzt.“

„Wir müssen den Pastor und die Kirchenküster scharf machen, die kriegen doch allesamt was ab an Gebühren vom Fischfang…“ und damit entfernten sich die beiden besorgten Männer.

Am 4. Juli 1824 hielten die „Winkler“ den Atem an. Jaulend pfiff ein Weststurm über die Weiden und duckte die Pappeln und trieb das Wasser aus der Trave, daß hier und da die flachen Stellen aus dem Flachwasser herauslugten. Da bog die „Prinzeß Wilhelmine“, mit dem Lotsen Petersen an Bord, in die Trave ein.

„Wenn das nur gut geht“, fürchtete sich der Lotse. „Man immer mutig weiter“, ermutigte Kapitän Lov. „Da fährt unser Verdienst nach Lübeck hin!“ jammerten die Travemünder. „Die armen Fische, morgen wird die Trave besät sein damit“, jankten die Fischer. „Wenn nur der Treideldamm die Wellen von unsern Wiesen abhält“, hofften die Bauern.

„Wenn sich die „Prinzeß Wilhelmine“ doch festfahren würde“, das hofften alle.

Und die „Prinzeß Wilhelmine“ fuhr sich fest, kam aber wieder los, dann aber rammte sie einen meerzu gehenden Segler! „Da haben wir den Beweis, die Trave kann mit Dampfern nur bis Travemünde befahren werden!“ jubelten die Fischer, die Treidler, die Travemünder, die Stadtfischer und Stadtfuhrleute! Selbst die Lotsen waren derselben Meinung.

Aber da gab es in Lübeck noch einen Mann, der war Senator für das gesamte Lotsenwesen, er hieß Grabau. Senator Grabau kümmerte sich nicht um die Gutachten der Fachleute, er stieg beim nächsten Mal zu Lov an Bord und fuhr mit ihm die Trave aufwärts bis Lübeck.

Bald danach befuhr Kapitän Lov regelmäßig die Trave, und die Lübecker freuten sich darauf, mit dem Dampfer gen Travemünde zum Baden fahren zu können.

Horst Weimann

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