Vor 80 Jahren endete der 2. Weltkrieg
Recherchiert und zusammengestellt von Wolf Rüdiger Ohlhoff
Landschaften und Städte waren weltweit zerstört, Millionen von Flüchtlingen irrten auf der Suche nach einem neuen Zuhause durch Europa.
Lübeck und Travemünde waren das Ziel von unzähligen Flüchtlingen, Vertriebenen und Soldaten, die Zuflucht vor den vorrückenden russischen Truppen suchten. In unzähligen Trecks drängten aus den ehemaligen deutschen Gebieten Ostpreußens, Pommerns, Brandenburgs und Schlesiens auf dem Landwege die Flüchtlingsströme Richtung Lübeck und Travemünde, ebenso auf dem Seewege über die Ostsee auf Schiffen aller Größen.
Über diese schlimme und entbehrungsreiche Zeit kurz vor Kriegsende und nach Kriegsschluss unter britischer Militärregierung vor achtzig Jahren in Travemünde, soll dieser Artikel im UT berichten. Ihm zu Grunde liegen 2 ½ Jahre andauernde Recherchen in Lübecker – und deutschen Wehrmachtsarchiven, sowie etliche Interviews, die ich damals mit noch lebenden Zeitzeugen aus Travemünde geführt habe, wobei einige im Laufe der Zeit bis heute verstorben sind. Ihre Aussagen haben sie mir zur Veröffentlichung genehmigt.
Travemünde hatte zweifelsohne den großen Vorteil gegenüber vielen anderen deutschen Städten, diesen verheerenden Krieg relativ unbeschadet überstanden zu haben, trotz der massiven Kriegsgeräte-Erprobung und Fertigstellung auf der E-Stelle auf dem Priwall, in Pötenitz und den Travemünder Werften.
Fachleute sind der Meinung , dass dieses darauf zurückzuführen ist, dass Lübeck als zentrale Verteilungsstelle für die alliierten Liebesgaben-Pakete und den Brief-und Postkartenverkehr für die alliierten Kriegsgefangenen in Deutschland durch das Internationale Rote Kreuz in der Schweiz bestimmt wurde. Maßgeblichen Anteil an dieser Entscheidung hatten der in die USA ins Exil gegangene Hamburger Bankier Erik Warburg und sein Onkel, der Präsident des Int. Roten Kreuzes mit Sitz in Genf, Carl Jacob Burckhardt, beides ausgesprochene Lübeck-Verehrer. Letzterem wurde dafür in den 1950er Jahren die Lübecker Ehrenbürger-Würde verliehen, während Lübecks große Klappbrücke über den Hanse-Hafen in Anerkennung der Verdienste seines Neffen „Eric Warburg-Brücke“ benannt wurde.
Vorgeschichte der Kapitulation
Am 2. Mai 1945 erreichten britische Streitkräfte von Schwerin her kommend den Ostseehafen Wismar. So hatte denn der britische Premierminister Winston Churchill sein Ziel erreicht, nämlich die russischen Truppen, die 4 Stunden nach den Briten eintrafen, mussten östlich von Wismar Halt machen und ihr Ziel, die Hansestadt Lübeck nebst Travemünde einzunehmen und zu besetzen, aufgeben.
Die Lübecker und Travemünder Bevölkerung wurde am 2. Mai 1945 durch das Radio von dem bevorstehenden Einmarsch der britischen Streitkräfte benachrichtigt. Als sich diese Nachricht in Lübeck und Travemünde herumsprach, ging ein allgemeines Aufatmen durch die Bevölkerung, hatte man doch panische Angst vor einer russischen Okkupation und den gefürchteten Übergriffen durch die russische Soldateska.
Vorsichtig und zögernd fuhren die Panzer der 11. Britischen Panzerdivision am späten Nachmittag des 02. Mai 1945 in die Hansestadt Lübeck ein, und die britischen Soldaten besetzten das Lübecker Rathaus. Eine Panzerkolonne und ein schottisches Infanterieregiment wurden indessen nach Travemünde beordert, mussten aber wegen der vorgerückten Tageszeit in einem provisorischen Feldlager über Nacht in Kücknitz verbringen.
Am 3. Mai 1945 dann bog der erste englische Schützenpanzer von der Travemünder Landstraße herkommend, in die Torstraße bei der St. Lorenz-Kirche ein. Während der Tage und Nächte vor der Ankunft der britischen Truppen gab es etliche Fliegeralarme in Travemünde, doch es blieb mit Ausnahme einiger Tieffliegerangriffe tagsüber und auch in den Nächten erstaunlich ruhig im Städtchen an der Travemündung.
Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 und die Einteilung in vier Militärzonen
Bei der Konferenz von Jalta vom 4.–11. Februar 1945 wurde im Vorgriff auf die zu erwartende Niederlage der deutschen Wehrmacht das besiegte Deutsche Reich in vier Zonen aufgeteilt, wobei den Engländern Norddeutschland zugesprochen wurde. Die bedingungslose Kapitulation Großdeutschlands trat am 8. Mai 1945 in Kraft. Das gab der Reichsrundfunksender Flensburg als letzten Wehrmachtsbericht durch seinen Sprecher Klaus Kahlenberg am 8. Mai 1945 um 20:03 Uhr im Rundfunk bekannt.
Über das Schicksal der in Lübeck und Travemünde in britische Gefangenschaft geratenen deutschen Soldaten
Nachdem am 4. Mai 1945 die Kapitulationsurkunde für Nordwest-Deutschland unterzeichnet wurde, erfolgte dort am 5. Mai 1945 die Einstellung der Kriegshandlungen. Über die von Briten besetzten Gebiete in Mecklenburg gelang es in allerletzter Sekunde noch fast einer halben Million Soldaten und Flüchtlingen vor den heranrückenden sowjetischen Truppen in den Westen zu entkommen. Über die Ostsee und über den Landweg sind so zehntausende von Flüchtlingen ins rettende Lübeck und nach Travemünde gelangt.
Auf dem Leuchtenfeld, hinter dem Bootsschuppen der DGzRS, wurde ein provisorisches Open-Air-Camp für die deutschen Kriegsgefangenen eingerichtet, das von einem Maschendrahtzaun umrandet war. Hier mussten die armen Kriegsgefangenen auf dem bloßen Erdboden campieren. Es herrschten katastrophale hygienische Verhältnisse.
Hier trafen auch die in Norwegen gefangen genommenen deutschen Soldaten vom Norwegen-Korps an Bord von britischen Truppentransportern ein. Der Bad Schwartauer Heiner Munzert berichtet von braungebrannten, in tadellose, saubere Uniformen gekleidete Soldaten, die wie Urlauber scherzend von Bord der britischen Schiffe in die Gefangenschaft an Land gingen.
Die von englischen Truppen in Lübeck, Travemünde und Umgegend gefangengenommenen deutschen Soldaten wurden dann in vier großen zentralen Lagern in Südholstein nach tagelangen Fußmärschen interniert. Das größte davon, der sogenannte „Kral“, mit über 20.000 Internierten befand sich in der Nähe von Neustadt in Ostholstein. Die Unterbringung dort war anfangs katastrophal. Da viel zu wenig Zelte zur Verfügung standen, mussten auch hier die bedauernswerten Menschen bei Wind und Wetter auf freiem Feld unter freiem Himmel übernachten. Sanitäre Einrichtungen und ausreichende Verpflegung waren Fehlanzeige.
Travemünder Zeitzeugen, die um 1945 herum im Kinder- bzw. jugendlichem Alter waren, berichten über die Zeit vor und nach dem 03. Mai 1945 über ihre Erlebnisse mit den Besatzern.
Peter Schlichting trat Ostern 1944 im Alter von 14 Jahren in die Travemünder HJ ein. Die war dreizügig: Marine-HJ, Motor-HJ und Luftwaffen-HJ. Im Frühjahr war er zusammen mit vielen HJ-lern aus ganz Schleswig-Holstein für 2 Wochen bei Bredstedt im Sönke-Nissen-Koog an der Westküste zum Errichten von Panzersperren und Ausheben von Schützengräben gegen die hier vermutete Invasion der Alliierten von der Nordsee her, eingesetzt.
Danach war er zum Wehrertüchtigungslager Heisternest auf der Halbinsel Hela bei Danzig abkommandiert worden. Dort legte er den B-Segelschein ab, lernte Schiffsknoten selber zu machen und lernte das Morsen.
Im Januar 1945 nahm er an einer 14-tägigen Ausbildung in der Lübecker Meesenkaserne an einem Maschinengewehr- und Panzerfaust-Abschuss-Training mit realem Schießen zusammen mit Lübecker Volkssturm-Kämpfern teil.
Im März wurde er dann zum „Sprengfachmann“ mit Plastik-Sprengstoff an realen Zielen wie Lübecker Altbauten und Bunkern ausgebildet.
Dann erfolgte ein Einsatz im Lübecker Stadtwald Lauerholz, wo er im Bau von Erdhöhlen ausgebildet wurde, die als Versteck für den vorauszusehenden Einmarsch der Engländer dienen sollten. Für die Dauer dieses Trainings wurde er mit einer englischen MP ausgestattet. Während dieses Einsatzes wohnte er in einem Barackenlager auf dem heutigen „Gustav Radbruch-Platz“.
Beim Training im Lauerholz passierte seine Gruppe am 30.04. eine Gruppe Zwangsarbeiter, die zu ihrem Einsatz in einer der Schlutuper Munitionsfabriken zu Fuß unterwegs waren, die riefen: „Bald kommen wir nach Hause! Hitler ist tot!“ Als Andenken an diesen Einsatz nahm Peter Schlichting eine Panzerfaust mit, mit der er zum Entsetzen seiner Mutter zuhause auf dem Priwall eintraf.
Als dann der Befehl der Engländer nach ihrem Einmarsch in Travemünde ausgegeben wurde, alle Waffen, Munition und Uniformen an den Sammelstellen abzugeben, brachte er seine Panzerfaust zum Sammelplatz an der Priwallfähre vor der Vogtei. Eine zweite Sammelstelle befand sich an der Außenallee, wo sich in späteren Jahren ein Minigolfplatz unter hohen Bäumen befand.
Uve Behrens erinnert sich an die Besatzer auf dem Leuchtenfeld: „Wir Kinder liefen jeden Tag zum mit Maschendraht abgesperrten Camp der Briten, die dort in großen Zelten wohnten und betrachteten durch den Zaun das Leben und Treiben der Tommies auf dem Gelände. Unter den Soldaten waren auch einige Farbige. Menschen mit solch einer Hautfarbe hatten wir noch nie in unserem Leben lebendig vor uns gesehen. Wir kannten die Neger bisher nur von unseren Sammelbildern aus den Zigaretten-Sammelalben, die über das Leben in den ehemaligen Kolonien in Deutsch-Südwest Afrika unter Ohm Krüger berichteten. Die Tommies waren immer sehr freundlich gegenüber uns Kindern und beschenkten uns mit Schokolade und amerikanischem Kaugummi. Für unsere Eltern steckten sie uns Pakete mit schneeweißem Brot, sogenanntes „Toastbrot“ zu, das uns damals total unbekannt war.
Heiner Munzert, 1945 zehn Jahre alt und Enkel von Helene Märkert, der Betreiberin des „Strandhaus Becker“, berichtete mir über seine Erlebnisse mit den englischen Soldaten: „Die Tommies versteckten in den ersten Wochen ihrer Besatzungszeit in Travemünde immer Dosen mit „Schoka-Cola“ unter ihren kleinen Schützenpanzern, die in der Kaiserallee gegenüber dem „Strandhaus Becker“ abgestellt waren. Wir Kinder krochen dann unter die Panzer, um uns die Leckereien hervorzuholen. Wenn wir dann mit unserer Beute unter den Panzern hervorkrochen, öffneten die Soldaten, die sich vorher für uns unbemerkt im Panzer verborgen hatten, plötzlich unerwartet für uns die Panzerturmluke und erschreckten uns fürchterlich mit lautem Gebrüll. Manchmal durften wir auch auf die Panzer steigen und durch die Luke in den Panzer steigen.“
Holger Munzert war mit zehn Jahren Mitglied des sogenannten Jungvolks, einer Vorstufe der Hitler-Jugend. Er musste sich dreimal in der Woche in der Holzbaracke neben den Tennisplätzen einfinden, um sich im Sinne des Nazitums ausbilden zu lassen.
Auch Uve Behrens erzählt über diese Zeit: „Am Südrand des Kalvarienberges, gegenüber den Tennisplätzen, befand sich ein kleines Versammlungshaus, die Baracke der örtlichen NSDAP. Dort fanden regelmäßig Zusammenkünfte der Partei, aber auch öffentliche Veranstaltungen, wie zum Beispiel Weihnachtsfeiern, statt.
Uve Behrens kann sich noch genau daran erinnern, dass er bei einer solchen Veranstaltung einen kleinen Panzer aus Holz vom Weihnachtsmann überreicht bekam. Am Ende des Lotsenberges, am Bahndamm, befand sich das kleine Versammlungshaus der HJ, eine Baracke aus Holz, die im Winter durch einen kleinen Holzofen beheizt werden konnte. Hier war der Treffpunkt des sogenannten „Jungvolks“, vor allem aber der HJ.
Uve Behrens war damals mit Sondergenehmigung der NSDAP zum „Pimpf“ ernannt worden, also ein Mitglied des „Jungvolks“ und gehörte dem „Fähnlein 129“ an. Unter dem Kommando des Travemünder Fähnleinführers versammelte sich die Travemünder HJ in den frühen Abendstunden, geschart um das Kaminfeuer und lauschte begeistert dem eindrucksvollen Bericht aus und über das Leben des Führers.
Im bitterkalten Winter 1944/45 gab es für die Travemünder Erwachsenen Filmvorführungen durch die Propaganda-Abteilung der britischen Besatzer im einzigen Travemünder Kinosaal im „Hotel Stadt Kiel“ in der Kurgartenstraße. In diesen sogenannten Matineen am Sonntagvormittag stand auch ein britischer Dokumentarfilm über die Befreiung des KZ Bergen-Belsen durch englische Truppen. Auf dem Programm standen kaum zu ertragende Bilder, die die toten ausgemergelten Häftlinge zeigten, wie sie in Massen in ein bereits ausgehobenes Massengrab mit der Schaufel eines Radbaggers befördert wurden. Diesen Film mussten sich alle erwachsenen Einwohner Travemündes auf Befehl der Briten ansehen, um sich ein Bild über die KZ-Betreiber zu machen.
Lothar Schwedler berichtet über das Silvester 1945/46: „Erwachsene erzählten uns Kindern, dass es zum Jahreswechsel eine Riesenfete in der Gaststätte, der sogenannten „Zeltstadt“, direkt an der Grenze zur SBZ am Ende der Mecklenburger Landstraße gab. Dabei waren neben den schottischen Besatzern auch russische Soldaten von der anderen Seite der Grenze eingeladen worden, die Unmengen von Wodka als Gastgeschenk mitbrachten. Die russischen Befreier waren dann am nächsten Morgen so betrunken und gehunfähig, dass ihre schottischen Gastgeber die abgefüllten Russen auf der Ladefläche per LKW in ihre Quartiere zurück über die Demarkationslinie brachten.
Einhellig waren alle Interviewten der Meinung, dass für sie als Kinder die Zeit kurz vor und nach der Besetzung Travemündes durch die Engländer wie ein Cowboy-und Indianerspiel war: voll mit spannenden Ereignissen und Abenteuern.
Uve Behrens erzählt: „An einem vorher festgelegten und öffentlich bekannt gegebenen Tag luden die britischen Besatzer Travemünder Kinder zu einer riesenlangen Kaffeetafel auf die „Kaiserbrücke“ ein. Dabei kam es zu einem Handgemenge zwischen den Müttern um die Plätze, da nur Sitzgelegenheiten für ca. 60 Kinder vorhanden waren. Es gab Kuchen und Kakao.
Holger Scheutzlich erinnert sich an folgendes: „Im Hotel „Schifferhaus“ in der Vorderreihe direkt neben der elterlichen Wohnung, heute gegenüber Bäckerei Junge, hatten sich Engländer einquartiert. Mit einem der „Tommies“ hatten mein Bruder und ich Freundschaft geschlossen. Manchmal durften wir beide seine Kurierfahrten mit dem Jeep nach Lübeck-Siems begleiten. Vor Antritt der Fahrt gab es dann für uns auch die ersehnte Schokolade und Kaugummi. Damit die Schokolade bei den in diesem Sommer 1945 heißen Temperaturen nicht schmolz, hielt unser britischer Freund mit seiner linken Hand die Schokoladentafel in den Fahrtwind, mit der anderen steuerte er.“
Holger erzählt weiter: „In der Besatzungszeit befand sich die Badestelle für mich, meinen Bruder Hartmut und unserem Freund Axel direkt neben der Südermole auf dem Priwall. Für mich hatte unsere Mutter eine Badehose aus leuchtend rotem Fahnentuch geschneidert. Einmal waren wir drei wieder zum Baden an unserer Lieblingsbadestelle, und ich und Axel waren im Wasser, während mein Bruder Hartmut auf den Steinen der Südermole hockte. Ich und Axel waren keine besonders guten Schwimmer und wurden plötzlich vom Sog eines vorbei fahrenden Schiffes gepackt und in die Fahrrinne gezogen. Mein Bruder Hartmut kriegte wie immer von allem nichts mit und hatte sich bereits auf den Heimweg begeben und uns beide unbeobachtet im Wasser zurückgelassen. Panik ergriff Axel und mich, und wir beide drohten in der Fahrrinne zu ertrinken, doch ich wurde in letzter Sekunde von britischen Soldaten aus dem Wasser gefischt. Sie standen in diesem Moment glücklicherweise vor ihrer Baracke auf Wache neben dem Gebäude des Lübecker Yachtclubs auf der Landseite gegenüber dem Priwall und sahen meine knallrote Badehose in der Trave treiben. Sofort sprangen sie in ihr kleines Motorboot, das angetäut am Ufer lag, sausten damit los und retteten mich so kurz vor dem Ertrinken. Die Suche nach meinem Freund Axel blieb leider erfolglos, von ihm war auch später keine Spur zu finden, er blieb in der Trave verschwunden.
Leben auf dem Priwall vor und nach der britischen/schottischen Besetzung
Ein Truppenteil der Engländer, das schottische Garde-Grenadier-Regiment, die „Cold Stream-Gard“ war in einer der ehemaligen Kasernen der Luftwaffe untergebracht. Christel Bruhse, während der Zeit kurz vor und nach dem Einmarsch der Engländer auf dem Priwall wohnend, im Alter von sieben Jahren, erinnert sich: „ Mein Vater war Flugzeugmechaniker auf dem Fliegerhorst in Jagel bei Schleswig. Zusammen mit dem Travemünder Piloten „Fietje“ Fischer, in Travemünde bekannt wie ein bunter Hund, zogen beide Familien als Erstbezieher zusammen in den Wohnblock neben den Kasernen an der Mecklenburger Landstraße. Das Regiment der schottischen „Cold Stream Guard“ war in einer der Kasernen neben dem Wohnblock der Familien Bruhse und Fischer untergebracht. Den Kindern war das Rollschuhlaufen auf dem Kasernenhof der Schotten neben ihren Wohnungen erlaubt. „Christel Bruhse betonte immer wieder, wie freundlich die Schotten mit den Kindern umgingen.
Besonders spannend für die Jugend war das tägliche „Tattoo“ der schottischen Militärkapelle in ihren „Kilts“, den schottischen Männerröcken, wenn sie auf der Mecklenburger Landstraße in Reih‘ und Glied antraten, und zum Klang ihrer Dudelsäcke und Trommeln das Marschieren übten. Besonders spannend fanden die Kinder wenn die Paukenspieler in ihren Leopardenfell-Schürzen während des Marschierens ihre Paukenschlegel in die Luft warfen und artistisch wieder auffingen.
Frau Bruhse erinnerte sich beim Interview, wie ihr die Schauer den Rücken herunterliefen, wenn die Engländer bei ihren Tiefflieger-Angriffen in ihren „Mustang“-Maschinen mit knatternden Bordkanonen über den Priwall rasten und Ziele auf der „E-Stelle“ beschossen. Nach der Kapitulation war ihr Vater öfter auf dem von britischen Bomben verwüsteten E-Stelle-Gelände unterwegs, um dort Edelmetalle und Kupferdraht zu organisieren, um mit dem Verkauf das schmale Familiensäckel zu unterstützen.
Uve Behrens erzählt: „ Auf dem Gelände der E-Stelle waren von der deutschen Luftwaffe die tollsten Sachen zurückgelassen worden. Das besagte Gelände war zwar von der Mecklenburger Landstraße und von der Pötenitzer Wiek her durchgehend durch einen hohen Maschendrahtzaun gesichert, aber schnell war ein Durchschlupf an einer nicht einsehbaren Stelle an der Pötenitzer Wiek gefunden. Und der einzige englische Posten an dieser nur schwer zugänglichen Stelle, der dort alleine auf sich gestellt patroullierte, konnte auf diesem Riesenareal nichts ausrichten.
Was gab es da nicht alles zu holen: Flugzeugreifen, deren Material als Ersatz für durchgelaufene Schuhsohlen verwendet werden konnten, Elektro-Motoren, Sprengnieten zur nicht ungefährlichen Knallerei. Dazu Schwimmer von Wasserflugzeugen, die man beim Altwarenhändler auf der Stadtseite zu viel Geld machen konnte.
Unser größter Abenteuerspielplatz war, wie bereits erwähnt, der beinahe unbewachte ehemalige Flugplatz auf dem E-Stellen-Gelände. Dort standen zwischen den Sanddünen unter hohen Kiefern, mit Planen abgedeckte Wasserflugzeuge, die bis auf die von den Engländern ausgebaute Flugtechnik, völlig unversehrt waren. Hier spielten wir die vielen Luftkämpfe nach, die wir in den Wochenschauen im Kinosaal des Hotel „Stadt Hamburg“ in der Kurgartenstraße gesehen und „live“ am Travemünder Himmel verfolgt hatten.
Im Juni 1945 wurde von den Engländern eine große Siegesfeier mit Paraden, Aufmärschen und einem großen abendlichen Feuerwerk auf dem Gelände der ehemaligen E-Stelle abgehalten. Der Alkohol floss in Strömen, und die Briten waren bass erstaunt, als plötzlich eine Horde von 20 stark angetrunkenen sowjetischen Offizieren, von der Zonengrenze her kommend, auf der Siegesfeier auftauchten, mit ihren Kalaschnikows wild in den Himmel ballerten und lautstark nach Alkohol verlangten. Man kam, um keinen Streit zu provozieren, ihrem Wunsch nach, und als die Russen, stark betrunken, nicht mehr Herr ihrer Sinne waren, wurden sie von schottischen Soldaten eingekreist, auf einen LKW verfrachtet, zur Demarkationslinie am Ende der Mecklenburger Landstraße gebracht und dort abgeladen. Gottseidank war diese kritische Situation ohne Blutvergießen über die Bühne gegangen.
Ernst-Jürgen Schwedler, dessen Vater auf der E-Stelle gearbeitet hatte und dort mit seiner Familie auf dem E-Stellen-Werksgelände wohnte, erzählte: „ Nach einer abenteuerlichen Flucht-Odyssee von der ungarischen Front, wo ich als Melder bei einem Nachrichtentrupp eingesetzt war, durch Österreich und Deutschland zu Fuß, mit dem Fahrrad und per Anhalter, kam ich nach unglaublichen 1.741 km und 30-tägiger Irrfahrt in Travemünde am 05.06.1945 an. Dort begab ich mich sofort nach Hause auf den Priwall zum Haupteingang der E-Stelle, die von einem 2 m hohen Zaun, der das gesamte Gelände vom „Haus der Naturfreunde“ bis hin zur Priwall-Fähre umgab. Dort musste ich den britischen Wachposten passieren, ehe ich zum Haus meiner Eltern gelangte“.
An einem der folgenden Tage meldete Schwedler sich bei dem für ihn zuständigen Einwohnermelde- und Ernährungsamt auf der Stadtseite ordnungsgemäß aus dem Krieg zurück. Erst am 5. Dezember 1945 wurde er vorschriftsmäßig in einer Lübecker Kaserne aus der deutschen Wehrmacht entlassen und bekam seine Entlassungspapiere ausgehändigt, nachdem er vorher mit einer Flit-Spritze, den Vorschriften entsprechend, vorsichtshalber entlaust worden war. Wieder aus Lübeck zurück, gelang ihm dann aus der Dachluke der elterlichen Wohnung heraus ein Schnappschuss mit der Kamera von einer Parade der schottischen Soldaten auf dem Gelände der E-Stelle, was allerdings bei Strafe verboten war.
Schlechte Versorgungslage
Eine Travemünderin, die im „Backbord“ wohnte, erzählt: „ Ab März 1945 ging es uns sehr schlecht. Das Brot war sehr knapp, und die Kartoffeln gingen zur Neige. Wir aßen sehr viel Rote Bete, die wir bald nicht mehr sehen konnten und die uns bis zum Hals stand. Am Tag nach dem Einmarsch der Engländer hatten wir weder Strom noch Wasser. Die Bauern aus Travemündes Umgebung lieferten keine Milch mehr an die Geschäfte, denn die gesamte Milchproduktion musste den Meiereien abgeliefert werden. Bei denen bekam man nur eine kleine Ration blauschimmernde entrahmte Vorzugsmilch auf die Lebensmittelkarten. Aber durch die Hintertür konnte man im Tauschverfahren mit Wertgegenständen, wie Armbanduhren oder Schmuck, verbotenerweise ein paar Liter Milch „schwarz“ ergattern. Aber wir wollen nicht unsere gute Bäuerin Henk aus Ivendorf vergessen, die uns ab und zu eine Literkanne mit vollfetter Milch und Fettaugen kostenlos zukommen ließ.
Vor den Bäckerläden in der Vorderreihe standen die Menschen in langen Schlangen an. Die Lebensmittelgeschäfte hatten sämtlich geschlossen. „Nun beginnt für uns eine Hungersnot“, dachten wir bei uns. Mein Geburtstag war an einem Sonntag. Da standen wir schon morgens von 05:00 – 12:00 Uhr nach Brot bei Bäcker Schlüter in der Vorderreihe an und zogen nach 7 Stunden Anstehen beglückt mit zwei klittschigen Brotlaiben nach Hause.
Manchmal gab es beim Schlachter auch Leberwurst ohne Fleischmarken. Diese Wurst sollte angeblich aus einer chemischen Fabrik in Westfalen stammen und bestand aus einer Mischung von feinstem Buchenholz-Sägemehl, Essig und unbekannten chemischen Zusätzen, die zusammen gerührt wurden.
Waschpulver war eine Rarität. Zahnpasta gab es nur selten. Ersatz dafür war ein Zahnputzstein, an dem die Zahnbürste vor Einsatz gerieben werden musste. Als Feinseife wurde eine steinharte Kernseife angeboten, die überhaupt nicht schäumte und nach kurzem Gebrauch zerbröckelte.
Die Oma nähte dann aus Resten von Mullbinden kleine Säckchen und sammelte darin die merkwürdigen Kernseife-Brösel. Diese Säckchen wurden dann befeuchtet und damit wusch sich dann die ganze Familie. Auf diesen Seifenresten, die aus der NS-Zeit hinüber gerettet worden waren, stand eingepresst “RIF“ die Abkürzung für „Reichsindustrie für Feinseife“. Im Volksmund wurde das dann pietätlos mit „Ruhe in Frieden“ übersetzt, wurde diese Seife doch aus Knochen hergestellt, von welcher Herkunft auch immer.
Aus Dorsch-Leber, die von den Travemünder Fischern „schwarz“ eingetauscht wurde, wurde von den Müttern Lebertran für die unterernährten Kinder und Öl zum Braten gewonnen. Der Rest wurde dann mit Zwiebeln, wenn es die denn gab, eingekocht und als Brotaufstrich verwendet.
Verbotenerweise wurden auch von den Frauen des Nachts auf den Feldern aus dem Inneren der dort aufgestellten Getreidegarben die Kornähren abgeschnitten, was nach außen hin, den Bauern erst am nächsten Tag auffiel. Die Körner wurden dann abgestrippt und zusammen mit „besorgten“ Maiskörnern aus der „Nachlese“ bei Nacht und Nebel morgens um 03:00 Uhr in der Frühe zu Bäcker Simon an der Kirche gebracht. Der buk daraus, was von den Engländern bei Strafe verboten war, privat Brot für seine Travemünder.
Ein weiteres Problem war das Beschaffen von Heizmaterial, sprich: Holz. Kohlen gab es überhaupt nicht. Neidisch erfuhren wir von unseren Lübecker Freunden, dass die im Herbst 45 für ein paar Tage mit Gas versorgt wurden. Zwar rationiert, aber immerhin! Wir Travemünder guckten, wie so oft, wieder in die „Röhre“!
Eine weitere Travemünderin berichtete: „ Unser Haus war voll mit Flüchtlingen belegt. 6 Familien unter einem Dach, und jede hatte nur ein Zimmer zur Verfügung, worin mit bis zu 7 Personen „gehaust“ wurde. Zusammen mit unseren zwangseingewiesenen „Gästen“ machten wir uns mit einem Pferdewagen auf den weiten Weg in den Waldhusener Forst, um dort Stubben zu roden. So konnten wir wenigstens unsere Wohnstube beheizen“.
Christel Bruhse berichtet über die schlechte Versorgungslage auf dem Priwall. Sie konnte sich noch gut an das „Zeughaus“ am U-Boothafen erinnern, in dem auch Lebensmittel gelagert wurden. Der Smutje vom U-Boot-Hafen, wahrscheinlich der von der im U-Boot-Hafen liegenden „Wilhelm Bauer“, unterstützte die notleidenden Frauen auf dem Priwall mit ihren Kindern. Wenn das Mittagessen für die deutschen Marinesoldaten abgewickelt war, durften die Kinder das übrig gebliebene Essen mit „Henkelmännern“ abholen. So hatte fast jedes Kind ein sogenanntes „Paten U-Boot“, das sein Kind mit Lebensmitteln versorgte. Von den neben uns stationierten schottischen Soldaten in den Kasernen, wurden die Kinder regelmäßig mit „Chocolat /(Schoka-Cola in den runden Blechdosen) und „Chewing Gum“ bedacht.
Bruno Groth berichtete: „ Wir Jungs schlichen uns immer heimlich auf den Hinterhof des „Kurhaus-Hotels“. Dort standen nämlich die Mülltonnen der britischen Offiziere, die sich im „Kurhaus“ untergebracht hatten. Die Mülltonnen waren eine Fundgrube für Lebensmittel: angebrochene Dosen mit Corned Beef, Dosen mit Milchpulver, ganze Packungen mit Toastbrot und Wurstkonserven. Wir hatten schließlich den Eindruck, dass die Tommies sehr gut wussten, was da vor sich ging, ein Auge zudrückten und in den Tonnen Essbares für uns deponierten, um die notleidende Travemünder Bevölkerung zu unterstützen, was ihnen offiziell ja strengstens bei Strafe untersagt war.
Da die Tommies auch offensichtlich die Fenster zum Kohlenkeller im Kurhaus-Hotel offen stehen ließen, wurden unter den Travemünder Kindern die Schmächtigsten ausgesucht, die sich durch die engen Kellerfenster zwängten, um in kleinen Körben die begehrte Kohle unbehelligt herauszuschaffen.
Uve Behrens berichtet auch über die schlimmen Versorgungsengpässe, die fast alle Travemünder Familien betrafen und über das verzweifelte Bemühen, dies zu ändern. Er erzählt: „ Am Anfang der Torstraße, an der Kreuzung zum Gneversdorfer Weg, befand sich im sogenannten „Kolosseum“, ein Vorratslager der Luftwaffe. Später war es dann als Kino unter dem Namen „Filmeck“ bekannt und ist heute die Kommandozentrale von „Elektro Stasch“.
Wie ein Lauffeuer ging es durch Travemünde: das Kolosseum“ ist auf! Alles stürzte dorthin, um seinen Anteil daran sicher zu stellen. Was es da nicht alles mitzunehmen gab: Fallschirme, deren Seidenstoff zu Kleidern, Hemden und Blusen verarbeitet werden konnte, Fallschirm-Steuerleinen, die aufgeribbelt und verstrickt herrliche Socken, Strümpfe und sogar Pullover ergaben. Schlauchboote, die für uns Jungs einen Schatz bedeuteten und das Tollste von allem: Kartons voll mit „Schoko-Cola-Dosen, der stimulierenden und wachhaltenden Schokolade für Flugzeugbesatzungen. Auch Leuchtspurmunition mit den dazu gehörigen Pistolen fanden reißenden Absatz unter uns Jugendlichen.
Holger Munzert, der 1945 als Zehnjähriger mit seiner Familie an Steuerbord 3 wohnte, berichtete über die damals völlig aus den Fugen geratenen Zeit, dass der Chef des Arbeitsdienstes auf dem Priwall, nach der Kapitulation einen LKW, mit großen Kartons aus dem Vorratslager der Marine am U-Boot-Hafen auf dem Priwall beladen, den LKW aufs Festland dirigieren und am Parkplatz am Wendehammer des Godewind-Parks, abstellen ließ. Wir Jungens haben dann heimlich die Planen geöffnet und einige Kartons von der Ladefläche entwendet, in der Hoffnung, darin Lebensmittel zu finden. Voller Stolz schenkte ich meiner Mutter einen Karton von der Beute. Aber die Enttäuschung war doch recht groß, als wir darin nur Dutzende von Kernseife-Paketen vorfanden. Nichts zu essen, aber damit ließen sich auf dem Schwarzmarkt sicherlich Lebensmittel eintauschen.
Hier sei einmal aufgeführt, wie wenig Lebensmittel den Deutschen in der schwersten Nachkriegszeit pro Kopf und Tag auf Lebensmittelmarken offiziell zustand, nämlich: 4 Gramm Käse, 10 Gramm Fleisch, 5 Gramm Fett, 75 Gramm Brot, 4 Gramm Kaffeeersatz und 32 Gramm Nährmittel wie Mehl, Zucker und Salz. Ein Ei gab es alle 10 Tage und alle 14 Tage 100 Gramm Fisch, wenn überhaupt. Das langte nicht zum Leben und auch nicht zum Sterben.
Schwarzmarkt
Otto Timmermann berichtet: „ Vieles lag in Travemünde im Argen, der verbotene Schwarzhandel blühte, und so mancher zurückgekehrte Landser hielt sich mit Schwarzhandeln über „Wasser“. So begaben sich viele von ihnen zum Fischereihafen und holten sich „unter der Hand“ Heringe, so es denn welche gab. Die Fischer verkauften sie stückweise und wurden so zu einem nicht erlaubten Nebenverdienst. Wie gesagt, war der Schwarzhandel eigentlich verboten, aber die britische Militärpolizei und ihre Kollegen, die deutsche Hilfspolizei, drückte oft ein Auge zu, wussten sie doch um die erbärmliche Versorgungslage. Bezahlt wurde mit alliiertem Notgeld, das waren alte ungültige Reichsmarkscheine, die rot und blau eingefärbt waren.
Die „Zentrale“ des Schwarzmarktes befand sich in der sogenannten „Liebesallee“ mit ihrem alten Baumbestand, die vom Kurhaus-Hotel, an den Tennisplätzen vorbei, zum Lotsenberg führte. Überführte und in „flagranti“ erwischte Schwarzhändler, die es zu toll trieben, wurden hart bestraft: ihr “Handelsgut“ eingezogen, und sie wurden im Lauerhof-Gefängnis in Lübeck eingesperrt.
Ernst-Jürgen Schwedler berichtet: „Im Frühjahr 1946 waren –zigtausende von Heringen in die Siechenbucht zum Laichen gezogen, so dass die Trave wie Silber funkelte und schimmerte. Es waren so viele Heringe, dass die Travemünder sie mit Keschern und Wassereimern aus dem Wasser holen konnten. Das war natürlich ein Segen für alle bei der herrschenden Lebensmittelknappheit. Im Schutze der Nacht fuhren dann die Travemünder Fischer mit ihren Booten, voll mit schimmernder Fracht, in den Dassower See, gingen dort, unbemerkt von den russischen Grenzsoldaten, an Land und tauschten die Heringe dort bei den Bauern gegen dringend benötigte Lebensmittel ein.
Hauptwährung beim „Schwarzhandel“ waren amerikanische Zigaretten, wie die Marken „Chesterfield“, „Camel“ und „Lucky Strike“. Sogar Fahrradschläuche dienten als Zahlungsmittel. Zum bei Strafe verbotenen, sogenannten „Hamstern“ ging es dann mit dem Fahrrad oder zu Fuß ins Mecklenburgische aufs Land. Dort wurde der Familienschmuck, Essbestecke, Essgarnituren, Gemälde, Perserteppiche und vieles andere mehr bei den Bauern gegen Lebensmittel eingetauscht. Es ging das Gerücht, dass einige Bauern ihre Viehställe mit Perserteppichen ausgelegt haben sollen.
Oft waren dann die total überfüllten Nahverkehrszüge geschätzte Transportmittel, so sie denn überhaupt fuhren. Als Nahverkehrszüge nach Hamburg dienten offene Güterwaggons, in denen man während der 3-stündigen Fahrt an die Elbe stehen musste. Wer es, aus welchen Gründen auch immer, nicht aufs Land schaffte, versuchte sein Glück mit Suchanzeigen in der Zeitung, in der „Tauschbörse“ oder auf an Bäume und Hauswände geklebte handgeschriebene Suchanzeigen.
Kohlenklau
Otto Timmermann berichtet: „Schon Ende Oktober 1945 ging es mit den Temperaturen runter in den „Keller“. Mein Vater hatte gerade noch rechtzeitig für genügend Brennmaterial gesorgt, das aus auf dem Priwall gefällten kleinen Bäumen, Treibholz, gerodeten Stubben und gesammelten Tannenzapfen bestand. Koks und Briketts gab es schon lange nicht mehr zu kaufen.
In dieser Zeit hatten sich einige Frauen aus der St. Lorenz-Gemeinde zusammengetan, um abends in der Dunkelheit Kohlen zu organisieren. Abends klopfte es dann kurz vor Beginn der Sperrstunde um 22:00 Uhr an unser Fenster und Alma rief meiner Mutter zu: „ Emma, der Engländer hat Kohlen bekommen!“ Die Frauen schlichen sich dann durch unseren Garten, der direkt gegenüber dem Hafenbahnhof lag, Die mit Kohle beladenen Eisenbahnwaggons standen dort abgestellt auf dem Nebengleis. Die mutigste von den Frauen, meist war es Alma, die auf den offenen Waggon enterte und so viele Kohlenstücke wie möglich und wie sie greifen konnte, hinunter warf. Die restlichen Frauen standen unten und füllten im Akkord die mitgebrachten Jutesäcke und Kinderwagen mit den Kohlebrocken.
Wenn dann aber plötzlich ein Pfiff von einem der Wache haltenden englischen Polizisten ertönte, wussten die Frauen, dass sie unverzüglich verschwinden mussten, und waren plötzlich wie von Zauberhand vom Erdboden verschluckt und mit der Kohle in der Dunkelheit verschwunden. Hinten, im Pastoratsgarten, wurde dann die Beute gerecht verteilt.
Wenn dann am nächsten Tag die Engländer die von ihnen inzwischen geleerten Waggons weg rangiert hatten, ging es dann an die von den Briten gestattete „Nachlese“. Die beim Entladen durch die Engländer daneben gefallenen Kohlenbrocken sammelte dann die bewährte „nächtliche Kohlengang“ ein, ohne von den zuschauenden englischen Posten daran gehindert wurden, die, wie so oft, ein „Auge“ zudrückten. Selbst Wanda Stibitzki, mit hochschwangeren Bauch, beteiligte sich an der „Nachlese“. Als ein englischer Posten bemerkte, wie mühevoll sie mit ihrem dicken Bauch die Kohlen aufklaubte, half er ihr beim Befüllen ihres Jutesackes und brachte, ganz Kavalier, dann mit dem von Wanda mitgebrachten Bollerwagen die „Beute“ zu ihr nach Hause in die Kurgartenstraße Nr. 4.
Situation in Travemündes Lazaretten und Krankenhaus
Die medizinische Versorgung in Travemünde war gegen Kriegsende in Travemünde schlichtweg zusammengebrochen. Die Travemünder Bevölkerung mit ungefähr 6.000 Personen war durch den Massenansturm der Flüchtlinge auf über 20.000 Menschen angewachsen. Da auch die Ernährungs- und Gesundheitslage katastrophal war, bestand in erhöhtem Maße Seuchengefahr.
Die Koordinatorin der medizinischen Versorgung lag in den Händen der aus Ostpreußen geflohenen Gräfin von Bassewitz. Ihr, und all den Ärzten, Krankenschwestern und Sanitätern, standen für über 5.000 Verwundeten nur 1.500 Lazarettbetten zur Verfügung, die auf die beiden Krankenhäuser am Lotsenberg und dem Priwall, sowie auf Travemünder Hotels, Pensionen und dem Kursaalgebäude ( später Casino und heute „Grand Atlantic Hotel“) verteilt waren.
Gräfin von Bassewitz bekam den Ehrentitel „ Engel von Travemünde“ ob ihres Einsatzes verliehen. Sie arbeitete eng mit den englischen Offizieren in Travemünde zusammen und sorgte dafür, dass die vielen jungen Mädchen, die als Schwesternhelferinnen ihren schweren, an die körperlichen Grenzen gehenden Dienst versahen, nicht von englischen Soldaten belästigt und von ihnen nachgestellt wurde.
Zu diesen wertvollen Helferinnen gehörte auch Lieselotte Rose, später Chefin von der „Kurhaus-Klause“, der „Villa Charlott“ an der Strandpromenade und der Gaststätte „ Op’n Knust“ am Strandbad-Zentrum. Sie berichtet in ihren Erinnerungen: „Ab 1943 wurden nach und nach alle Travemünder Hotelbetten zu Lazarettbetten umfunktioniert. Auch die des „Kurgartenhauses“ an der Ecke Lotsenberg/Kurgartenstraße. Kurzfristig von den Engländern beim Eintreffen in Travemünde für ihre Soldaten requiriert, wurde das Haus wegen des Bettennotstandes doch wieder zum Krankenhaus umgewidmet.
1944 habe ich als Schülerin der Oberschule für Mädchen am Falkenplatz in Lübeck mein Notabitur gemacht. Sämtliche Lübecker Notabiturientinnen wurden nach dem Abitur sofort als Flak-, Marine-, oder Schwesterhelferinnen eingestellt. Ich machte in Lübeck einen „Crash-Kurs“ als Schwesternhelferin und wurde danach sofort in Travemünde eingesetzt. Eine meiner ersten Aufgaben war die Assistenz beim Abholen von bei ihrem Osteinsatz verwundeten Soldaten, die in Schlutup auf einem riesigen Verletztensammelplatz auf ihre medizinische Versorgung warteten.
Die Überführung der zum Teil Schwerverwundeten nach Travemünde auf Sanitätskraftwagen, den sogenannten Sankras, erfolgte unter ständigem Tieffliegerbeschuss der Engländer, obwohl alle Fahrzeuge mit großen roten Kreuzen bemalt waren. In Travemünde gab es einen Riesenstau von Rot-Kreuz-Sanitätszügen, die Verletzte auf der Schiene nach Travemünde zur ärztlichen Versorgung brachten. Der Stau reichte vom Bahnübergang am Teutendorfer Weg bis zur Endstation am Strandbahnhof. Von dort aus erfolgte die Verteilung der verwundeten auf die Travemünder Lazarett-Hotels. So waren ca. 5.000 deutsche Verwundete im Badeort untergebracht.
Besonders schlimm ging es im zum Lazarett umfunktionierten Kurhaus-Hotel zu. Hier war Lieselotte Rose als Krankenschwester eingesetzt. Da nicht genug Betten zur Verfügung standen, lagen viele der verwundeten auf den Fluren des Hotels, wegen fehlender Bettwäsche auf Stroh, etliche deutsche verwundete Soldaten waren zusammen mit ihren verletzten britischen Kollegen im „Spiegelsaal“ des Hotels untergebracht und warteten dort auf ihre medizinische Versorgung. Auch dort herrschten verheerende Zustände. Es gab kein Verbandsmaterial und Operationen mussten ohne Betäubungsmittel durchgeführt werden.
Der Chef der 25. in Travemünde stationierten U-Boot Flottille, Flottenadmiral Wilhelm Schulz, stattete dem Kurhaus-Hotel- Hospital einen Besuch ab, weil er von den dort herrschenden verheerenden Zuständen gehört hatte. Er war erschüttert über das, was er dort vorfand. Ohne sich Erlaubnis von Oben zu holen, veranlasste er, dass sofort von dem im Hafen liegenden Passagierschiffen „Wega“ und „Swakopmund“, die als Standortquartier für das Travemünder Flottenkommando dienten, die benötigten Sachen wie Betten, Bettwäsche, Verbandsmaterial, Anästhesie-Material und Essgeschirr sofort zur Verfügung gestellt wurden. Über die Travemünder Ortskommandantur besorgte Flottenadmiral Schulz des weiteren 10 LKWs und die benötigten Mannschaften, die zusammen mit 100 abgestellten U-Boot Marinern die dringend benötigten Sachen umgehend ins Kurhaus-Hotel transportiert wurden.
Die zuständige zentrale Küche für die Versorgung aller Travemünder Krankenbetten befand sich in der Kurhaus-Hotel Küche. Dort wurde das eintönige Essen in großen Dampfkesseln zubereitet und durch Kurier-Fahrzeuge auf die Travemünder Lazarette verteilt. Die jungen Schwesternhelferinnen sorgten dafür, das von den gekochten Portionen 2-3 Wassereimer voll abgezweigt wurden und zusammen mit anderen Lebensmittel in dem hinter dem Kurhaus-Hotel liegenden Eiskeller im Kalvarienberg versteckt wurden. Dort holten Mitglieder der schon damals bestehenden „Travemünder Tafel“ in der Nacht die sogenannten „Spenden“ ab, um damit notleidende Travemünder Familien mit Kindern zu unterstützen.
Das in Travemünde an der Vorderreihe ankernde Marinewohnschiff „Knurrhahn“, war an und für sich als Marinewohnschiff für die Matrosen einer Schnellbooteinheit vorgesehen, wurde dann aber zum provisorischen zivilen Krankenhaus umgebaut. Auf seinem Dach prangte ein riesiges Rotes Kreuz, als ein überall als Zeichen für Lazarett bekanntes Zeichen, um Tieffliegerbeschuss zu verhindern. Der dort leitende Oberarzt war Dr. Pingel, der nach dem Krieg 1948 das Priwall-Krankenhaus in den ehemaligen Kasernen einrichtete und leitete. Auf der „Knurrhahn“ gab es auch eine Geburtsabteilung, in der etliche Travemünder Neubürger das Licht der Welt erblickten. Da die englische Besatzungsmacht das Schiff dann für eigene Nutzung einforderte, wurde der dortige Lazarettbetrieb Ende 1945 in das Kurgarten-Haus am Lotsenberg verlegt. Dort konnten 90 Patienten stationär aufgenommen werden.
Die „Knurrhahn“ wurde im Jahr 1947 nach Kiel geschleppt, dort umgebaut und bis in die 90er Jahre als Unterkunft für auszubildende Marine-Offiziere genutzt. 1947 erfolgte nach dem Abzug der schottischen Regimenter aus Travemünde der Umzug aus dem „Kurgarten-Haus“ in die als Krankenhaus umgebauten Kasernen an der Mecklenburger Landstraße auf dem Priwall, die 1948 eröffnet wurden.
Das „Kurgarten-Haus“ wurde nach Umbau unter dem Namen „Hotel Stockholm“ geführt. Eigentlich sollten die Priwall-Kasernen auf Anordnung der Engländer gesprengt werden, entgingen jedoch ihrem Schicksal durch die engagierten Proteste und einer Unterschriftensammlung der Priwall-Bewohner.
Otto Timmermann, der Kirchendiener der St. Lorenz-Kirche, der bei seinem Osteinsatz als Soldat schwer am Fuß verletzt wurde, berichtet in seinen Aufzeichnungen, er wäre nach seiner Verwundung nach einer wahren Odysee mit einem Krankenwagen durch Mecklenburg im Lazarett von Schwerin erfolgreich operiert worden und sei nach der OP von seinen Verwandten in einem Sankra nach Travemünde gebracht worden.
Er wurde im Großen Saal des Kurhauses, später Casino, dann Gr. Saal vom Grand Atlantik Hotel, untergebracht. Eine Hälfte des im Jugendstil erbauten Festsaales wurde als Casino der englischen Besatzer genutzt, die andere Hälfte zur Seeseite war durch provisorische Zwischenwände abgetrennt und als Lazarett mit 40 Betten eingerichtet.
Otto Timmermann erholte sich schnell von seiner Verletzung, konnte er doch von seinem Krankenbett auf die von ihm so geliebte Ostsee blicken. Allmählich lichteten sich im Kursaal die Reihen der Verletzten und die jetzt leer stehenden Betten wurden von den englischen Besatzern übernommen. In diesem Zuge wurde auch das Lazarett im Kursaal geräumt und die wenigen, übrig gebliebenen Kranken wurden von dort aus ins Krankenhaus nach Eutin verlegt.
Otto Timmermann hatte Glück, musste sein geliebtes Travemünde nicht verlassen und wurde mit den wenigen übrig gebliebenen Bettgenossen ins Hotel „Deutscher Kaiser“ in der Vorderreihe verfrachtet, das zu der Zeit noch als Lazarett-Hotel fungierte.
Lothar Schwedler berichtet über eine Lazarett-Baracke, die auf dem Areal des Fahrenbergs, einem heute kurz vor der Vollendung stehenden Parkhauses, stand. Ab 1947 wurden dann erst einmal alle übrig gebliebenen Kranken nach und nach in die wieder hergerichteten Lübecker Krankenhäuser verlegt.
Fischersiedlung in Travemünde
Wie in Großenbrode und mehreren Orten an der Kieler Förde wurden auch in Travemünde für die aus dem Osten geflohenen Fischerfamilien unmittelbar an der Siechenbucht auf dem ehemaligen Wehrmachtsgelände 66 Einfamilien-Baracken errichtet und als erste Unterkunft zur Verfügung gestellt.
Insgesamt kamen hier 78 Fischerfamilien aus Pommern und der Halbinsel Hela unter, die sich auf 60 Fischkuttern in letzter Sekunde vor den anrückenden russischen Truppen gerettet haben.
Bevor die Familien ihre neuen Unterkünfte beziehen konnten, lagen die meisten Fischkutter, die als Unterkunft dienen mussten, an der Vorderreihe, im Fischereihafen und die kleineren von ihnen in der Siechenbucht. Naturgemäß kam es dann zu einem Konkurrenzkampf mit den hier ansässigen Fischern.
In der Fischersiedlung am heutigen Skandinavienkai entwickelte sich sofort eine rege Betriebsamkeit: auf den Wegen zwischen den Baracken wurden Fischernetze zum Trocknen und zum Reparieren ausgebreitet.
Am Rande der Siedlung entstanden kleine behelfsmäßige Räucherkammern und sogar eine ganze Reihe von kleinen Drahtkäfigen auf Ständern, in denen die Fischer Nerze züchteten, genügend Futter war ja mit den Fischabfällen vorhanden. Dadurch lag ständig ein leicht fischiger Geruch in der Luft. Aus angeschwemmten Holz und Maschendraht bauten sich die Fischer ihre Nerzkäfige selbst. So ein Nerzfell brachte dann nach der Währungsreform 60–80 DM in die Kasse, für die damalige Zeit ein Vermögen.
Ihre Baracken konnten die Fischerfamilien dann kurz vor besagter Währungsreform von der Hansestadt Lübeck erwerben, wobei die Grundstücke als Erbpacht im Besitz der HL blieben. Die kleine Siedlung machte einen äußerst gepflegten Eindruck mit ihren schmucken kleinen Gärten und den Häuschen, die mit ihren drei kleinen Räumen, Küche und Schuppen nur einen beschränkten Wohnraum boten, aber gegenüber den Flüchtlingsfamilien, die in Travemünde oftmals mit mehreren Personen in einem Zimmer bei den Einwohnern zwangseinquartiert waren, wie Privilegierte zu der Zeit wohnten.
Aber die äußere Idylle täuschte, musste doch das benötigte Trink- und Waschwasser aus entfernt liegenden Zapfstellen herbei geschleppt werden. Im Winter leisteten die nicht isolierten dünnen Wände der Baracke der Kälte nur ungenügenden Widerstand, und im Frühjahr wurde das undrainierte Land rings um die Baracken regelmäßig überschwemmt, so dass einzelne Baracken nur in Gummistifeln erreicht werden konnten, sofern man die dann besaß.
Nach dieser mehr oder weniger provisorischen Unterbringung begann dann die Gründung ihrer neuen Heimat in der sogenannten „neuen Fischersiedlung“ mit Hilfe staatlicher und kommunaler Mittel um die Mitte der 1950er Jahre. Sie wurde in mehreren Bauabschnitten ab 1954 von verschiedenen Wohnungsbaugesellschaften geschlossen am Stadtrand in der Teutendorfer Siedlung errichtet. (An der Bäk, Depenhörn und Teutendorfer Weg).
Von den insgesamt 115 Siedlerstellen mit jeweils 300–400 qm großen Grundstücken, die mit 449 Personen belegt wurden, wurden nur zwei Grundstücke an einheimische Fischer vergeben. Die restlichen Familien stammten alle aus dem ehemaligen Nordosten des Deutschen Reiches aus Ostpreußen, darunter allein 17 Fischerfamilien von der Halbinsel Hela.
Während die Travemünder Fischer vor allem in der Lübecker Bucht und um Fehmarn herum küstennahe Fischerei betrieben, waren die Fischkutter der Flüchtlinge in der offenen Ostsee, der sogenannten „kleinen Hochseefischerei“ auf Fangfahrt, wobei sie auch zum Teil ihre alten Fischgründe in der südlichen und östlichen Ostsee aufsuchten. Hierfür wurden sie von der sowjetischen Besatzungsmacht in der SBZ mit internationalen Pässen ausgestattet. Einige von den größeren ihrer Kutter fuhren sogar über die östliche Ostsee hinaus bis in die Nordsee und die Gewässer vom norwegischen Trondheim. Alle diese Punkte mögen verdeutlichen, welche wirtschaftliche Kraft von den Fischern aus der Travemünder Fischersiedlung, zumindest in den ersten zwei Jahrzehnten nach dem Kriegsende ausging und welche gesellschaftliche Stellung von ihnen damit innerhalb Travemündes erreicht wurde. Die „Neue Siedlung“ hatte dadurch auch nicht den zu der Zeit üblichen Beigeschmack einer landläufigen „Flüchtlingssiedlung“.
Nachdem die Fischer umgezogen waren, begann 1961 der Abriss der „alten Fischersiedlung“ an der Siechenbucht und kapitalkräftige Investoren und Wirtschaftsinteressenten ließen an der Siechenbucht den Skandinavienkai entstehen. Er ersetzte den alten, viel zu klein gewordenen Fährschiff-Abfertigungskai an der Vorderreihe. Die Eröffnung des neuen Fährschiff-Terminals mit seinen weitläufigen Anlagen fand am 23. März 1962 mit der ersten Abfahrt der „Nils Holgersson“ von der TT-Linie nach Trelleborg statt. Kurz danach folgte die Moltzau-Linie mit ihrem Fährschiff „Gedser“, Zielhafen Gedser in Dänemark.
Das Schulwesen in Travemünde
Seit Sommer 1944 fand lt. Uve Behrens kein geregelter Schulunterricht mehr statt. Auch Holger Scheutzlich berichtete darüber: „ Da die Stadtschule von den Engländern vorübergehend als Lazarett eingerichtet worden war, fand für uns der Unterricht in einer Holzbaracke am Dr. Zippel-Park an den Tennisplätzen und in den Baracken des Kohlenhofs auf dem Priwall statt. Dort waren vorher Zwangsarbeiter aus dem Osten untergebracht, die auf der ehemaligen E-Stelle arbeiteten.
Nachdem die englischen Besatzer die Stadtschule am 21.11.1945 frei gegeben hatten, musste diese komplett renoviert werden. Am 21.02.1946 konnte dann der Schulunterricht dort und auf dem Priwall für ca. 2.000 Schulkinder beginnen. Dieser musste wegen der großen Schülerzahl von früh morgens bis in den Abend hinein durchgeführt werden.
Am 09.05.1946 wurde in Travemünde die Schulspeisung durch die englische Militärbehörde offiziell eingeführt, die es in Lübeck bereits ab dem 1. Februar gab. Zu Anfang gab es warme Milch und spezielle Trockenkekse zum Eintunken, die schnell satt machten. Kurz darauf gab es dann eine sehr nährstoffreiche Verpflegung aus der britischen Militärkantine, die sich auf dem Tender „Lech“ an der Überseebrücke befand. Die lag vielen der Vollkost entwöhnten Kinder schwer auf dem Magen. Da war dann die zusätzlich ausgeteilte süße Nudelsuppe eine willkommene Abwechslung. Ab und zu gab es auch leckere Sandwiches aus der Kantine der britischen Soldaten. Besonders beliebt bei den Schülern waren auch die Rumkugeln von Bäcker Schlüter gegenüber der Priwallfähre, die der an die Schüler verteilte.
Christel Bruhse, die auf dem Priwall wohnte, besuchte zusammen mit mehreren Freundinnen die Filiale der Stadtschule auf dem Kohlenhof-Gelände.
Ende 1945 wurde auf dem Pastoratsgelände an der Vogteistraße gegenüber dem Hafenbahnhof der Kindergarten von der St. Lorenz Gemeinde für den Nachwuchs im Alter von 3-6 Jahren eröffnet. Das Holzgebäude war bereits 1942 von Soldaten der E-Stelle auf dem Priwall als Kindergarten für die NS-Volksfürsorge errichtet worden. Er war von 8-13 Uhr geöffnet. Nachmittags ab 13 bis 18 Uhr konnten dann die Schüler von der Stadtschule unter Aufsicht von Lehrern ihre Schularbeiten machen.
Laut Bericht vom Leiter der Mittelschule, Rektor Richard Heßler, mussten sich die 600 Mittelschüler der Stadtschule die Klassenräume der Stadtschule mit 1.000 Volksschülern teilen, der Rest musste, wie bereits erwähnt, mit den Baracken auf dem Kohlenhof vorlieb nehmen. Der Unterricht musste so in vier Schichten, über den ganzen Tag verteilt, stattfinden. Die Klassenstärke damals betrug um die 50 Schüler. Bei gutem Wetter fand der Unterricht im Freien auf dem Schulhof statt.
„Luft“ gab es erst, als 1951 die Volksschule mit Hilfsschul-Abteilung am Steenkamp eröffnet wurde. Die Mittelschule erhielt dort erst 1967 ihr eigenes Schulgebäude. Wegen der vielen Flüchtlingskinder, die mit ihren Familien in Baracken der ehemaligen Fremdarbeiter auf dem Priwall hausten, war es notwendig geworden, neben den Klassenräumen auf dem Kohlenhof, zusätzlich eine Dependance zu eröffnen, die ihren Platz in einem ehemaligen Verwaltungsgebäude der E-Stelle als Zwerg-Schule mit zwei Klassenräumen am Ende des Fliegerweges fand.
Als Lehrerin unterrichtete dort Fräulein Antje Heßler, die 1952 ihre 1. Staatsprüfung abgelegt hatte und nun ihren Schuldienst als Hilfsschullehrerin an der neuen Volksschule am Steenkamp begonnen hatte. Sie unterrichtete in der sogenannten „ Zwergenschule“ auf dem Priwall von 1953 bis 1961.
Fluchtbericht von Christa Howe
Die 9-jährige Christa Howe verließ zusammen mit ihrer Mutter im August 1944 den kleinen Ort Bajohren in Ostpreußen auf der Flucht vor der anrückenden russischen Armee. Dabei waren sie erst Anfang des Jahres nach dort wegen der starken Luftangriffe auf Berlin evakuiert worden. Nachdem es sie nach abenteuerlicher Flucht unversehrt nach Travemünde verschlagen hatte, wurden die beiden zusammen mit über 100 Flüchtlingen erst einmal für 2 Wochen im geschlossenen Restaurant des Strandbahnhofs notdürftig untergebracht.
Sogar die Schule konnte die jetzt 10-Jährige im Oktober 1945 besuchen, nämlich in einer weiteren Dependence der Stadtschule, dem Pastorat der ev. Kirche in der Rose 41, im sogenannten „St. Lorenz Haus“ an der Ecke zum Mühlenberg. Dort fand ein provisorischer Unterricht statt, denn die Stadtschule war noch von britischen Soldaten besetzt.
Es gab kein Schreibpapier, jeder kleine Ausriss aus der Zeitung wurde aufgehoben, um darauf zu schreiben, wenn es denn Bleistifte gab. Wer eine Schiefertafel mit Griffel hatte, konnte sich glücklich schätzen. Meine Tafel war auf der Flucht zerbrochen. In dem Unterrichtsraum, dem kleinen Gemeindesaal des Pastors drängelten wir uns mit über 70 Kindern. Selbst auf den Fensterbänken saßen einige Schüler. Dieses Provisorium wurde nach einigen Monaten geschlossen, nachdem, wie bereits erwähnt, die Engländer die Stadtschule geräumt hatten.
Entnazifizierung
Die Entnazifizierung war eine der Hauptanliegen der britischen Besatzungsmacht in Schleswig-Holstein. Noch aktive Nazis wurden sofort aus führenden Positionen im Land entfernt. So auch in Travemünde. Die Durchführung der Entnazifizierung lag, wie überall im Land, auch in Travemünde in den Händen eines Entnazifizierungsausschusses, der sich zunächst aus Offizieren der britischen „Field-Security“ zusammensetzte.
Man ging mit Hilfe von Fragebögen vor und sortierte alle aus dem öffentlichen Dienst aus, die Mitglieder der NSDAP und der ihr angeschlossenen Organisationen gewesen waren. Dieser Ausschuss traf sich Ende Juli-Anfang August 1945 im Gr. Saal des Gesellschaftshauses in der Torstraße 1. An einem großen Tisch die o. a. Engländer, zusammen mit nazi-unbelasteten, von den Engländern bestimmten Travemünder Bürgern, als Prüfungskommission.
So u. a. auch der Travemünder Rektor Bremer und der englische Standortkommandeur aus Travemünde. Dieses Gremium entschied nun über als durch die Fragebögen verdächtig geltende Travemünder im Alter von 15–50 Jahren, ob sie denn nun entnazifiziert werden konnten oder nicht.
Die als unverdächtig ermittelten Einwohner bekamen sofort ihre Entnazifizierungspapiere ausgehändigt und konnten umgehend den Saal verlassen, während die als Nazis entlarvten Travemünder wie z.B. SS-Leute, SA-Scharführer u. ä. sofort verhaftet und unter Bewachung ins englische Lager auf dem Gelände der ehemaligen E-Stelle gebracht wurden. Dort wurden sie vom englischen Militärgericht zu Zwangsarbeit verurteilt und zum zwischenzeitlichen Gewahrsam ins ehemalige KZ-Lager nach Neuengamme bei Hamburg gebracht. Nach kurzem Aufenthalt dort wurden sie dann per LKW in die Kohlengruben des amerikanischen Sektors überführt, um dort mit ihrer Hände Arbeit für ihre Taten zu büßen, so der Text des in Travemünde gefällten Urteils.
Ordnungsamt
Im März 1946 wurde die Verwaltung Travemündes in „Ordnungsamt Travemünde“ umgewandelt. Ein von der Bürgerschaft in Lübeck gewählter Verwaltungsausschuss, dem unbescholtene, entnazifizierte Bürger angehörten, mit einem Lübecker Senatsmitglied als Vorsitzenden, der das neue Ordnungsamt leitete. Untergebracht war das Ordnungsamt in einer Baracke im Dr. Zippel Park, in dem sich früher die HJ-Jugend Travemündes getroffen hatte und für kurze Zeit nach dem Krieg als Schulbaracke diente.
Polizeiwesen
Die Travemünder Polizei hatte nach der Kapitulation, wie vor Kriegsbeginn, ihr Hauptquartier in der „Alten Vogtei“ gegenüber der Priwallfähre. Die dort beschäftigten Beamten waren anfangs unbewaffnete Hilfspolizisten, die dem englischen Sicherheitsoffizier in Travemünde unterstanden, die wie die Londoner Cops, nur mit einem Schlagstock bewaffnet waren. Am 01.01.1947 ging die Oberhoheit über die Polizei auf das Land Schleswig-Holstein über.
Die LVG in Travemünde
Ernst Wendelborn erhielt für seine LVG am 22.03.1946 von der Britischen Militärregierung in Schleswig-Holstein die Konzession zur Eröffnung einer ständigen Busverbindung zwischen Travemünde und Lübeck. Am 1. Mai 1946 trat der erste Sommerfahrplan in Kraft, der bis zum 30.09.1946 galt. Mit den ersten zwei Doppeldecker-Bussen, die er einsetzen durfte, waren nach Kriegsende 150 Berliner Flüchtlinge in Travemünde angekommen. Zu Anfang wurden Busse mit Holzvergaser eingesetzt, wegen Benzinmangel.
Da auch ein großer Mangel an Ersatzteilen für diese in Berlin gebauten Busse älterer Bauart bestand, mussten diese Teile extra aus Berlin von der Fa. Orenstein & Koppel geholt werden. Mit einem mit Holzvergaser ausgestatteten PKW machten sich Chef Wendelborn und sein Prokurist Schipior auf den langen und beschwerlichen Weg in das total zerstörte Berlin. Mit an „Bord“ hatten die zwei 3 große Kisten mit frischen grünen Heringen, mit denen die „Ersatzteile“ für die kaputten Busse bezahlt wurden.
Helmut Wendelborn war schon immer „plietsch“ gewesen, wenn es um heiß begehrte „Schnäppchen“ ging, wie das folgende Beispiel beweist. Als er aus Platznot ein neues Busdepot am Gneversdorfer Weg bauen musste, bisher parkte er seine Busse „open air“ in der Jahrmarkt- und Torstraße, sicherte er sich schnell für einen „Appel und ein Ei“ zwei riesige metallene Tore vom Flugplatz auf dem Priwall von den Engländern, bevor die riesigen Flugzeughangars auf der Halbinsel „in die Luft gejagt“ und von Bulldozern „plattgemacht“ wurden.
Situation an der Grenze auf dem Priwall (SBZ)
Reinhard Spieß, ehemaliger Zollgrenzschutzbeamter auf dem Priwall, 1947 einer der Männer der ersten Stunde an der Grenze zur SBZ, ab 1949 DDR, später Zahlmeister auf dem Travemünder Kreuzfahrtschiff des Reeders Deilmann, geborener Travemünder, und danach Kassenchef bei der Deutschen Bank Filiale am Strandbahnhof, erinnert sich: „ Am 3. Juli 1945 war der Rückzug der britischen Rheinarmee aus Mecklenburg abgeschlossen. Die Russen rückten nach und England bekam dafür den britischen Sektor in Berlin als Tauschobjekt.
An der Demarkationslinie auf dem Priwall, die mitten durch die Dünen lief, heute östliche Grenze des FKK-Strandes, standen sich nun Sowjetrussen und britische Soldaten gegenüber. Das Übertreten der Demarkationslinie war strengstens verboten und nur mit amtlichen, von den Russen ausgestellten Passierschein, erlaubt.
Als einziger offizieller Übergang im Stadtgebiet von Lübeck diente bis 1952 die Straße von Eichholz nach Herrnburg. Ab 1947 wurde, wie von der englischen Besatzungsmacht gefordert, der Grenzübergang Eichholz vom deutschen Zollgrenzschutz bewacht. Später in Deutscher Zollgrenzdienst umbenannt, bewachten die deutschen Grenzwächter mit von den Engländern stammenden Waffen die deutsche Staatsgrenze.
Auch die Travemünder Polizei wurde auf dem Priwall eingesetzt, aber unbewaffnet, ohne eigene Fahrzeuge, aber mit Schlagstöcken und Fahrrädern von der englischen Besatzungsmacht ausgerüstet. „Auf der anderen Seite war es ebenso“, erläuterte Reinhard Spieß. „Die Vopos bewachten die Grenze, aber die Russen behielten die Oberaufsicht. Die Vopos trugen blaue Uniformen und zu blauen Hemden rote Schlipse“. „ Zwischen uns und den Vopos“ ,erzählte Spieß, „bestanden nachbarschaftliche, ja beinahe kameradschaftliche Verbindungen“.
„Heute sei es kein Geheimnis mehr“, verriet Spieß, „dass nicht selten Vopos zu uns herüber kamen, ihre Waffen und Uniformen ablegten, um in der damals legendären „Strandperle“ auf der Westseite zum Tanzen zu gehen. Auch zum Jahresende wurde gemeinsam im „Kultlokal“ das neue Jahr mit reichlich Alkohol begrüßt.
Am Grenzweg befand sich damals die sogenannte „Kaufhalle Erdmann“, die aus zwei nebeneinander liegenden reparaturbedürftigen Holzhäuschen bestand. Hierher kamen nachts über die „Grüne Grenze“ Bewohner von Pötenitz, Dassow und umliegenden Dörfern, um gegen Butter, Eier, Speck, Geflügel, Wild und Kleinvieh gegen dringend benötigte Haushaltsartikel wie Nägel, Schrauben und ähnliches einzutauschen. Wahrscheinlich war ihre Unbemerktheit durch die östlichen Grenzposten durch kleine Mitbringsel erkauft worden.
Auch wurden, unter Umgehung der russischen Aufpasser im Hinterland, Grenzgänger im Zuge der Familienzusammenführung an nicht einsehbaren Stellen im Unterholz über die Demarkationslinie geschleust. Das gleiche geschah mit Ruderbooten über den Dassower See in die Pötenitzer Wiek. „Andererseits“, so Spieß, „ermöglichten wir einem DDR-Grenzkommissar 1949 den Besuch seiner kranken Mutter in Hamburg. Wir statteten ihn mit Zivilkleidung, einer Fahrkarte, Wegzehrung und etwas Geld aus. Nach 2 Tagen meldete er sich bei uns zurück und wechselte wieder zurück in die geliebte DDR.
Mit der Gründung der DDR 1949 wurde das gesamte alte Vopo-Personal ausgewechselt und die neuen sogenannten DDR-Grenztruppen übernahmen die Bewachung der deutsch-deutschen Grenze. Das Klima an der Grenze wurde durch die nun linientreuen Kameraden immer frostiger, und bald gab es überhaupt keine Kontakte mehr zwischen Ost und West an der Priwall-Grenze.
Gründung des Kleingarten-Vereins
Als gleich nach Kriegsende nicht genügend Platz zum Anbau von Gemüse vorhanden war, durften Teile des Flugplatzes der ehemaligen E-Stelle von den Travemündern in Schrebergartenland umgewandelt werden. 1946 gründeten dann Heinrich Franck und Fritz Pulter den Kleingarten-Verein Travemünde, um die allgemeine Nahrungsmittelknappheit durch eigenen Gemüseanbau zu mindern. Die Mitgliederzahl stieg innerhalb kürzester Zeit auf über 2.000 Mitglieder an. Die Parzellen lagen an der Bahnstrecke nach Niendorf zwischen Moorredder und Howingsbrook. Nach der Währungsreform 1948 sank die Mitgliederzahl drastisch auf nur noch knapp über 300 Mitglieder.
Stadtbücherei
Die Stadtbücherei Lübeck richtete 1946 in der Stadtschule an der Kirche eine Zweigstelle ein. 1951 reichte der Platz nicht mehr aus und man zog in die Possehl-Villa an der Strandpromenade. Anschließend ging es ins „Kurgarten-Haus“ am Lotsenberg, dann wieder zurück in die Stadtschule, um dann 1964 ihren endgültigen Platz im alten Verwaltungsgebäude am Lotsenberg zu finden.
Otto Timmermann berichtet weiter
Mein Vater war Postbote in Travemünde und den umliegenden Ortschaften und fuhr Pakete und Briefe mit eigenem Pferd und Wagen aus. Ich half ihm dabei mit meinem Fahrrad. Die Zustellung im Ort dauerte meistens von 8–14 Uhr, danach ging es in die umliegenden Dörfer. Eines Tages erhielt ich vom Ordnungsamt einen Brief, ich möge mich doch einmal mit meinem Fahrrad vorstellen.
Im Hotel „Stadt Kiel“ in der Vorderreihe saß eine Kommission, der ich mein Fahrrad vorführen musste. Diese Kommission hatte dann zu entscheiden, ob das Fahrrad für städtische Zwecke eingezogen werden sollte, oder ob ich es behalten durfte. Ich hatte Glück: die Kommission sah meine schwere Behinderung durch mein kaputtes Bein und gestattete mir, mein eigenes Fahrrad weiterhin bei der Postzustellung zu benutzen. Damit bei den üblichen täglichen Kontrollen auf Travemündes Straßen ersichtlich war, dass mir das Fahrrad gehörte und nicht gestohlen war, bekam ich eine sogenannte Fahrradbetriebserlaubnis, ausgestellt auf meinen Namen mit dem Stempel der Stadt, die besagte, dass das Fahrrad mir gehörte.
Genauso wurde mit dem Pferdefuhrwerk von meinem Vater verfahren. Er musste sich mit seinem Fuhrwerk auf dem Baggersand der städtischen Kommission vorstellen und nachweisen, dass er zusammen mit Pferd und Wagen bei der Post dienstverpflichtet war, so dass er dann gerechter Weise sein Betriebskapital nicht abgeben musste.
Das erste Weihnachtsfest 1945 nach Kriegsende
Otto Timmermann, jetzt als Kirchendiener, berichtet über das Weihnachtsfest aus seinem Erleben: „So kam Weihnachten 1945, das wohl traurigste Weihnachtsfest, das ich je erlebt habe. Zu der Zeit ging ich dem alten Kirchendiener, der kurz vor seiner Pensionierung stand, bei den Arbeiten in der Kirche zur Hand. Bei dessen Eintritt in die Rente sollte ich seinen Posten übernehmen.
Für die Weihnachtsfeier in der St. Lorenz-Kirche bekamen wir zwei große Tannenbäume vom Förster in Waldhusen geschenkt, und Tischler Erich Johanns aus Travemünde half uns beim Aufstellen. Elektromeister Soltwedel aus der Teutendorfer Siedlung übernahm die Installation der elektrischen Kerzen, vielmehr das, was von ihnen noch übrig und zu gebrauchen war. Angst hatten wir nur vor einer eventuellen Stromsperre am Heiligen Abend, und dass wir dann im Dunkeln saßen. Auch würde die Orgel mit ihrem elektrischen Gebläse dann nicht mehr funktionieren. Aber der Verantwortliche von den Lübecker Stadtwerken beruhigte uns: „ Otto, an’n Hilligen Obend, dor passeert nix! Doropp kanns du di verlaaten!“
Am Heiligen Abend war dann die Kirche überfüllt, ein Drittel der Gottesdienstbesucher musste stehen, war es doch die erste Christmette nach dem Krieg. Vorn im Altarraum und hinter dem Altar standen die Besucher sich auf den Füßen, auch den ganzen Mittelgang entlang selbst im Eingangsbereich und auf der Treppe zur Empore und Orgel und das bei eisiger Kälte. Viele mussten umkehren und versuchten, draußen vor der leicht geöffneten Kirchentür, etwas vom Gottesdienst mitzubekommen.
Der Orgelmotor lief an, die Gemeinde und der Chor sangen zum Orgelspiel „Ich steh‘ an deiner Krippen hier“, die übrig gebliebenen Kerzen am Tannenbaum strahlten, und der Pastor begann mit den Worten: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden …“, als plötzlich mit einem Schlag alle Lichter in der Kirche und am Tannenbaum ausgingen um, wie die Orgel, langsam immer tiefer werdend, ganz zu verstummen. Die befürchtete Stromsperre war trotz des Versprechens der Stadtwerke eingetreten. Gottseidank konnte die Orgel wenigstens mit den per Fuß getretenen Blasebälgen von drei kräftigen Travemündern in Gang gesetzt und quietschend und rumpelnd zum Klingen gebracht werden.
Der Predigt des Pastors, wie im Mittelalter bei Kerzenlicht, sonst herrschte stockdunkle Finsternis, folgte noch ein „O, du fröhliche …“ mit vom Blasebalg unterstützter Orgel nebst Chor und dem Abschiedssegen des Pastors. Wohl noch nie ist dieser Choral in unserer Kirche so inbrünstig trotz eisiger Kälte und Stromausfall in unserer alten Fischerkirche gesungen worden, wie an jenem denkwürdigen Christabend.
Ich ging still in mich gekehrt nach Hause, bis in die Torstraße zu unserem Haus waren es ja nur ein paar Meter. Ich setzte mich an den gedeckten Abendbrottisch, an dem inzwischen schon die auf sechs Personen angewachsene, von uns aufgenommene Flüchtlingsfamilie, meine Eltern und meine Schwester Platz genommen hatte. Wir dankten gemeinsam unserem Herrn im Tischgebet und genossen die erste Friedensweihnacht nach dem verlorenen 2. Weltkrieg bei einem recht kargen Weihnachtsessen.
Am 12.12.1947 kamen die Glocken der Travemünder St. Lorenz-Kirche vom sogenannten „Hamburger Glockenfriedhof“ unbeschädigt zurück. Lieselotte Rose, damals jüngstes Mitglied des Travemünder Kirchenvorstandes, berichtet: „ Die Travemünder Kirchenglocken waren gegen 1942 in Travemünde abgehängt und zum Einschmelzen nach Hamburg gebracht worden, um daraus Kanonenrohre zu gießen. Daraus ist ja Gottseidank nichts geworden. Mit finanzieller Hilfe und technischer Unterstützung durch die Firma Hagelstein, konnte das gesamte Geläut zurück nach Travemünde geholt und in aufwendiger Arbeit wieder in den Glockenturm gehängt werden. Bereits im Neujahrsgottesdienst konnte dann das gesamte Geläut im Neujahrsgottesdienst 1948 in alter Klangfülle und Pracht der beglückten Travemünder Gemeinde präsentiert werden.“
Taucher Harmstorf 1950/1953 in Travemünde
Aus der Taucher-Dynastie Harmstorf aus Hamburg-Blankenese stammen viele berühmte Helmtaucher. Alnwick Harmstorf, Urenkel des Gründers der Taucherdynastie, Friedrich Mathias Harmstorf, übernahm nach Kriegsende 1945 die Bergungsfirma und räumte in den Nachkriegsjahren den Hamburger Hafen von Schiffswracks.
Schon sein erstes geborgenes Schiff bescherte ihm ein Vermögen. Es war ein Dampfer mit einer großen Ladung Zucker an Bord, der bei den Landungsbrücken auf dem Grund der Elbe lag. Weil die britischen Besatzer sich nichts von der Ladung versprachen, überließen die Briten der Fa. Harmstorf das Schiff zum Ausschlachten. Der nahm dankend an, denn seine Bergungsfachleute hatten herausgefunden, dass sich der Zucker nicht im Hafenwasser aufgelöst, sondern dass sich um jeden Jutesack durch den Zuckerinhalt eine karamellisierte Schutzschicht gebildet hatte. So eine große Ladung feinsten Zuckers war in der Nachkriegszeit mehr wert als ein Millionengewinn im Lotto.
Mit dem Erlös des Zuckerverkaufs schuf sich Alnwick Harmstorf den Grundstock für den Aufbau eines eigenen Bergungs-Werften und Reederei Imperiums, das sich bis zur Weltschiffbaukrise in den 70er Jahren hielt. 1953 übernahm Harmstorf die Travemünder Schlichting-Werft, als die in Konkurs ging und Vergleich anmeldete. Harmstorf brachte die kleine Werft auf den neuesten technischen Stand, die bald in Fachkreisen als eine der modernsten deutschen Werften galt.
Seine ersten Travemünder Erfahrungen machte Harmstorf Anfang 1950, als er mit seiner Taucherfirma für die Bergung der 1945 vor Travemünde, durch Selbstversenkung liegenden U-Boote und Begleitschiffe beauftragt wurde. Mit den Bergungsschleppern „Jupiter“ und „Juno“, der Schlepperbarkasse „Hannah“, den Bergungsleichtern „Elbe“, „Eider“ und „Weser“, sowie dem Schwimmkran „Herkules“ mit einer Tragfähigkeit von bis zu 60 t, begannen die aufwendigen Bergungsarbeiten, die bis 1953 andauerten.
Die gehobenen U-Boot-Wracks und Wracks der Begleitschiffe wurden mit den Bergungsschiffen zur Südspitze des Priwalls transportiert und auf dem ehemaligen Gelände der E-Stelle neben der Schlichting-Werft abgelegt und dort an Ort und Stelle auseinander geschnitten und verschrottet worden.
Cheftaucher Teichler und seine Familie lebten während der Bergungsarbeiten 3 Jahre lang auf dem Wohnschiff „Renate“, das die Familie vom Komponisten Michael Jary erst gemietet und dann gekauft hatten. Vorher hatte das Schiff am Steg der Schlichting-Werft und dann am Kohlenhof gelegen. Sohn und Tochter besuchten von 1953–1957 die zweiklassige „Zwergschule“ am Ende der Wiekstraße, die ich Ihnen ja schon vorgestellt habe, die heute, modern ausgebaut, als Wohnhaus dient.
Bevor die Bergungstaucher mit ihrer Arbeit beginnen konnten, stellte sich die Frage, wo genau die U-Boot-Wracks in der Lübecker Bucht lagen. Nachdem die Bergungsreederei die Kapitäne der selbstversenkten Boote ausfindig gemacht hatten, wurden die nach den letzten Positionen ihrer U-Boote vor dem Versenken befragt und bekamen für ihre Auskünfte großzügige Honorare, da mit dem Verschrotten der Boote Millionen verdient wurden.
Als nächstes wurden die Bergungstaucher von Harmstorf auf den Grund der Lübecker Bucht geschickt, und die Fundstellen mit Echograph auf der Seekarte eingetragen. Da die U-Boote zu groß für den Abtransport auf dem Bergungsleichter waren, wurden sie unter Wasser von den Tauchern mit von Acetylen betriebenen Schneidbrennern in transportable Stücke zerlegt, eine äußerst gefährliche Arbeit, bei der es auch zu schweren Unfällen kam.
Der Bergungsvorgang lief dann so ab, dass sich der Bergungsleichter über die Fundstelle begab, der Leichter bis zur Bordkante auf die Wasseroberfläche absenkt wurde, dann wurden die zerlegten Wrackteile mit Seilen unter dem Rumpf des Leichters befestigt, der Leichter wieder in seine ursprüngliche Lage gehoben wurde und so mit den großen Wrackteilen unter sich zum Abwrackplatz auf dem Priwall mit Schleichfahrt in seichtere Gewässer fuhr. Dort wurden die Wrackteile an der Hafenkante auf dem Hafengrund abgelegt und von den an Land befindlichen Kränen aus dem Hafen gehoben und am Abwrackplatz abgelegt. Dort wurden sie in handliche Teile zerlegt und mit LKWs abtransportiert. Noch brauchbare Kompressoren, Pumpen und Dieselmotoren wurden an Ort und Stelle in der Werft wieder aufgearbeitet und dann bei Neubauten von Fischkuttern auf der Schlichting-Werft wieder verwendet.
Auch der Sohn von Cheftaucher Teichler, der mir später als Erwachsener als Interviewgast zur Verfügung stand, partizipierte zusammen mit seinen Schulkameraden an dem vor der „Haustür“ liegendem Schrott. Sie schafften heimlich Bleiakkus und Rohrleitungen aus Kupfer und Bronze beiseite und verscherbelten das „Fundgut“ zur Aufbesserung ihres Taschengeldes bei Schrotthändler Beyer auf dem Priwall.
Bei Bombenfunden versuchten die Taucher unter Wasser die Zünder zu entfernen, so dass man die entschärften Bomben dann mit einem Kran an Deck hieven konnte. Das war hochwertiger Schrott, dessen Verkauf viel Geld einbrachte. Beim Entschärfen unter Wasser kam es zu mehreren tödlichen Unfällen. War ein Entschärfen unter Wasser nicht möglich, wurden die Blindgänger unter Wasser unter Lebensgefahr von den Tauchern in die richtige Lage gebracht, mit Zündschnüren versehen und dann von Bord einer Barkasse aus unter Wasser gesprengt.
In gehobenen U-Booten, so erzählten die Taucher, die durch Feindeinwirkung gesunken waren, befanden sich zum Teil noch die Leichen der ertrunkenen Matrosen, die an Land aus den Wrackteilen geborgen werden mussten. So erzählte mir Sohn Teichler, dass die geborgenen Leichenteile nach der Abnahme ihrer Kennmarken zur Identifizierung, zum Abtransport in leeren Karbidfässern auf dem Abwrackplatz aufbewahrt wurden, und die Wachhunde sich manchmal in einem unbewachten Moment daran bedienten.
Auch durch Bomben in der Lübecker Bucht versenkte Handelsschiffe wurden auf dem Priwall-Schrottplatz in ihre Einzelteile zerlegt und ihrer Wiederverwendung zugeführt. Das Geschäft florierte bis ins Jahr 1961, dann wurde der Abwrackplatz geschlossen, weil das Gelände von der Schlichting-Werft dringend benötigt wurde. Der Abwrackplatz wurde nun auf den neugeschaffenen Schrottplatz auf der Teerhofsinsel im toten Arm der Trave bei Bad Schwartau verlegt.
Beinahe unglaubliche aber wahre Begebenheiten um die „Stunde Null“ herum in Travemünde
Uve Behrens berichtet: „ Einen Lichtblick gab es für die Travemünder Jugend nach Kriegsende im Frühjahr 1946. Auf den Tennisplätzen am Kalvarienberg lief der normale Spielbetrieb wieder an, unter der Leitung des legendären Tennislehrers Harry Koebner. Einige Jugendliche aus Travemünde verdienten sich ein kleines „Taschengeld“ als Balljungen. Es gab 50 Pfennig pro vollendetem Spiel, wobei die „Gage“ nach Beendigung des Matches von den beiden Kontrahenten zu gleichen Teilen bezahlt wurde.
Im harten Winter 1946/47 ließ Tennislehrer Koebner, da ja kein Spielbetrieb möglich war, den roten Sandplatz unter Wasser setzen und fertig war das Eislauf-Stadion, sogar mit Tribüne. Zur großen Freude der Travemünder Jugend durften die Eislauffreaks die Eisfläche kostenlos benutzen. In den Abendstunden konnten dann die Travemünder von der Tribüne aus bei beleuchteter Eisfläche den eleganten Herrn Koebner und seine Frau im modernen Eislauf-Outfit bei kunstvollem Eistanz sogar mit Sprüngen und Hebefiguren bewundern.
Wanda Stibitzki aus der Kurgartenstraße Nr. 4/Ecke Kirchstraße berichtet: „ Es muss ungefähr 10 Tage vor dem Einmarsch der Engländer in Travemünde passiert sein, als mein Großvater uns nachts aufgeregt weckte und erzählte, dass er soeben 2 männliche Personen ertappt hätte, die über die Hofmauer hinter unserem Haus vom Hinterhaus der „Alten Vogtei“ her, zu uns in den Hof hinter dem Haus geklettert wären.
In diesem Moment klopfte es schon an der Hintertür und beim Öffnen erschienen zwei stattliche Männer in deutscher Uniform. Der in der vornehmeren Uniform mit wallendem Mantel, mit „Eisernem Kreuz“ und Admiralsstreifen stellte sich als Großadmiral Erich Raeder vor, auf der Flucht vor den anrückenden Engländern. Der einfacher gekleidete Begleiter sei sein Adjutant und Fahrer. Um die Richtigkeit seiner Aussagen zu bekräftigen über überreichte uns der Großadmiral seine Visitenkarte.
Er war es tatsächlich, der Stellvertreter von Großadmiral Dönitz, dem späteren Nachfolger Hitlers nach dessen Freitod. Raeder bat die Familie Stibitzki um Unterkunft für sich für eine Nacht, sein Adjudant würde die Nacht über vor der Haustür zur Kurgartenstraße hin Wache halten.
Am nächsten Morgen in der Frühe, nach einfachem Frühstück, bat der Großadmiral um einen zivilen Anzug für die Weiterfahrt, um unerkannt nach Plön zum Oberkommando der Wehrmacht, zu Großadmiral Dönitz zu gelangen. Wanda Stibitzki konnte ihm in der Tat helfen. Ihr Mann war zu Kriegsbeginn mit Russland an der Ostfront gefallen und so stand ein ganzer Schrank voll mit Kleidung von Wandas gefallenem Mann für Großadmiral Raeder zur Auswahl bereit. Nach der Einkleidung machte sich Großadmiral Raeder mit Fahrer und Kübelwagen auf den Weg nach Plön.
Der Friedhof Travemünde im Mittelpunkt des Geschehens
Pastor Frank Dahl erzählt: „Auf dem Friedhof Travemünde gibt es eine Gräberreihe mit 7 grauen Grabkreuzen. Eins trägt den Namen Caroline Rohde. Sie ist die Großmutter einer Familie, die mit 7 Personen auf einem kleinen „Böötchen“ kurz nach Kriegsende in Travemünde eingetroffen ist. Die Großmutter war auf der Überfahrt an einer schweren Lungenentzündung erkrankt und wurde sofort nach Ankunft in Travemünde auf das Lazarettschiff „Knurrhahn“, das ich schon vorgestellt habe, eingeliefert. Die restliche Familie musste auf Befehl der Engländer Travemünde sofort verlassen, da der Ort bereits überbelegt „hoch drei“ war. Die Familie fand dann eine Unterkunft in Lübeck.
Mehrfache Versuche, die Oma auf dem Lazarettschiff zu besuchen, scheiterten daran, dass für eine Reihe von Tagen der Zugang nach Travemünde wegen Überfüllung Travemündes geschlossen war. Als sie dann endlich zum Lazarettschiff „Knurrhahn“ durchgelassen wurden, erklärte man der Familie, dass ihre Oma verstorben und in einem Massengrab auf dem Travemünder Friedhof bestattet worden sei“.
Der Travemünder Pastor Frank Dahl hörte Jahrzehnte danach von dieser Geschichte und fand über den Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes heraus, dass die Oma separat unter einem grauen Kreuz unter ihrem Namen beerdigt worden sei. So verhalf Pastor Dahl der Familie zu ihrem inneren Frieden.
Die drei russischen Zwangsarbeiter, die neben der Oma beerdigt worden sind, waren auf der Schlichting-Werft beschäftigt und sollen nach reichlichem Genuss von selbst hergestellten Wodka, an einer Alkoholvergiftung gestorben sein. Auch gab es in der westlichen Ecke des Friedhofs ein Massengrab für verstorbene anonyme Zwangsarbeiter, auf dem ein großes Holzkreuz stand, mit der Inschrift „ Kreuz von Golgatha – Heimat für Heimatlose“. Dieses Grab soll leider Mitte der 1960er Jahre aus Platzgründen eingeebnet worden sein.
Ilse Kramer, später verheiratete Ingwersen, berichtet:
Ich war als Vorzimmerkraft in der Kommandantur der E-Stelle auf dem Priwall tätig. Dort hörte ich eines Tages am Telefon, zwei Tage vor der Kapitulation am 8. Mai, die Mitteilung mit, dass angeblich per Schiff sieben Särge mit den Leichen von hohen Offizieren der Wehrmacht aus Peenemünde in Travemündes Hafen eintreffen würden. Die Särge wurden, obwohl die Kapitulation kurz bevorstand, vom Hafen zum Friedhof gebracht, und mit militärischen Ehren unter Abfeuern von Salutschüssen einer Ehrenformation der Wehrmacht auf dem Friedhof in Anwesenheit von hochrangigen deutschen Militärs der Wehrmacht und meines Chefs beigesetzt.
3 Tage nach Einmarsch der Engländer in Travemünde, standen plötzlich 7 leere Särge hochkant an der Wand der Friedhofskapelle. Das wurde von mehreren Travemündern an Eides statt bestätigt, darunter auch durch Kirchendiener Otto Timmermann. Man mutmaßte, dass in den Särgen keine Leichen, sondern die Geheimunterlagen von Wernher von Braun für den Bau der Wunderwaffe V 1 aus Peenemünde versteckt waren, die die Nazis so vor den heranrückenden russischen Truppen in Sicherheit bringen wollten.
Die Engländer hatten durch ihre Spione „Wind davon bekommen“, die brisanten Papiere schnellstmöglich „exhumiert“ und gleich in die USA weiter expediert. Denn bereits im September 1945 begann Wernher von Braun in den USA mit seiner Arbeit für das amerikanische Raumfahrt- und Raketenprogramm. Wahrscheinlich mit der Beute aus Travemünde, wer weiß?
Diese Vermutung wird dadurch gefestigt, dass es Geheimunterlagen im Besitz der Amerikaner gibt, die bezeugen, dass der hohe amerikanische Offizier Eric Warburg in einer „Nacht-und Nebelaktion“, Wernher von Braun und etliche Mitarbeiter kurz nach Kriegsende aus Peenemünde, kurz vor dem herannahenden sowjetischen Truppen, nach Westdeutschland in Sicherheit gebracht hat.
Eric Warburg war derjenige, der Lübeck mit Hilfe seines Onkels, Carl Jacob Burckhardt, Präsident des Int. Roten Kreuzes in Genf, vor einem zweiten vernichtenden Luftangriff durch die Engländer gerettet hat. Er hatte Lübeck zur „Freien Stadt“ erklärt, als Umschlagplatz des Int. Roten Kreuzes für „Liebespakete“ und Briefe von Angehörigen der in Deutschland in Gefangenschaft sitzenden alliierten Kriegsgefangenen.
Als Dank der Hansestadt Lübeck wurde Carl Jacob Burckhardt zum Ehrenbürger Lübecks ernannt und nach dem Namen seines Neffen bekam die große Klappbrücke über den Lübecker Hafen den Namen „ Eric Warburg-Brücke“.
© Wolf Rüdiger Ohlhoff Januar 2025
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