Travemünder Woche mit dem Kaiser
Ein humorvoller Augenzeugenbericht
aus dem Jahr 1909
Travemünde, 4. Juli 1909
Die inaktive Beteiligung an einer Segelwettfahrt ist zu mindest nervenstärkend.
Gewiss gilt das nur unter bestimmten Voraussetzungen. Man sollte durch des Meeres wechselvolles Spiel und durch das Reizvolle der Segelbilder gefesselt sein. Wer jedoch lieber im stillen Bordwinkel die im Wein liegende Wahrheit gründlicher zu ergründen versucht, als es seine Aufnahmefähigkeit für wein-geistige Genüsse erlaubt, der wird die inaktive Beteiligung an einer Segelregatta nie als nervenstärkend empfinden.
Viel reizvoller denke ich mir die aktive Mitarbeit an Bord einer der konkurrierenden Yachten.
Es ist allerdings schon da gewesen, dass Kapitäne fürstlicher Schonerkreuzer wegen Überreizung der Nerven auf Knall und Fall die Stange verließen, und es erscheint erklärlich, dass ein Kapitän bei unausgesetzter Flaute der Verzweiflung anheim fällt. Es gibt nämlich Yachtbesitzer, die nicht abgeneigt sind, einen Kapitän für einsetzende Flauten verantwortlich zu machen.
Ich für meinen Teil wollte der Travemünder Segelwettfahrt, die wiederum eine nicht zu zählende Menschenmenge in das liebliche Badestädtchen gelockt hatte, durch Beobachtung vom Rosenhagener Strande neue Reize abgewinnen. Über die Beziehungen des Kaisers zu dem in entzückender Landschaft liegenden Herrenhaus Rosenhagen sind Legenden in Hülle und Fülle verbreitet. Aus den Legenden darf als Tatsächliches des Kaisers Vorliebe für eine Strandwanderung an der Rosenhagener Küste gelten.
Schneeweißer Sand umquillt den schreitenden Fuß. Die Stranddistel wuchert Silber glänzend, und der Strandhafer schüttelt seine Ähren im Winde. Vom breiten Vorstrand geht man über halbverwehte Pfade zu einem Kranz von hundertjährigen Buchen. Zum Ufer hin blickt das Meer durch herabhängendes Gezweig. Rauschen der Blätter und Rauschen der Wellen klingen zusammen.
Dort wollte ich unter Bäumen sitzen und die weißen Segel vorüberziehen sehen. Der Wind würde die Klänge der Schiffskapellen zu mir tragen. Das Echo der Startschüsse würde am Ufer entlang eilen. Die Wimpel und Fähnchen von Travemünde mussten zu mir herübergrüßen. Das alles würde vor mir liegen wie ein heiteres, lebensbejubelndes Bild. Ich würde es genießen können, ohne mich über Blut umlaufende, kaum angebratene und dazu klotzig teure Beefsteaks ärgern zu müssen, über ungewaschene Kaffeetassen und über eine leere Geldtasche.
Aber ich kann am Travemünder Regattasonntag nicht zum Rosenhagener Strand, weil ich mit bürgermeisterlicher Unpünktlichkeit den Anschluss versäumte und dadurch eine auffallende Verstimmung hervorrief, nämlich bei mir selbst.
Ich war deshalb gezwungen, mich an Bord des Dampfers “Lübeck” zu begeben, der nur durch die Gastfreundlichkeit des Lübecker Yacht-Clubs mit meiner bedeutungslosen Persönlichkeit belastet werden konnte. Ich richtete mich an der Schiffsspitze häuslich ein. Von dort habe ich die Regatta und die nähere Umgebung sehr aufmerksam beobachtet.
Für das Segeln besitze ich sehr viel Verständnis, obwohl ich vom Segeln nichts versehe. Was meine Aufmerksamkeit gefangen hielt, das war die ewig junge Schönheit der Lübecker Bucht. Ich weiß nicht mehr, wie oft ich den Weg von Travemünde nach Dahmeshöved auf Schiffsböden zurück legte. Nur das weiß ich bestimmt: ich werde diesen Weg stets schön finden. Vom Brodtener Ufer bis zum Staberhuk auf Fehmarn kannte ich jeden Winkel des Küstenlandes. Ich hatte unter seinen Eichen und Buchen geträumt; an seiner Geschichte hingen mein Herz und meine Gedanken, und seine Menschen lernte ich lieben.
Erst als unter frischer Brise die Klassen der Kreuzer- und Schwertyachten die Schönwetterbahn entlang eilten, setzte sich die “Lübeck” in Bewegung, noch früh genug zur Beobachtung der glänzenden Segelmanöver der “Meteor” am Markboot bei Kellenhusen.
Hierbei handelte es sich um die gerade von Krupp in Kiel für den Kaiser neu gebaute “Meteor IV”, ein 47m langer Schoner. Kaiser Wilhelm II. ließ sich fünf Meteor-Yachten bauen, bevor er sich im Jahr 1914 seinem “neuen Hobby”, dem 1. Weltkrieg zuwandte. |
Ich verfolgte die “Meteor”, die am Start seinen Rivalen auf und davon ging, bis zur Haffkruger Wendemarke. Noch vor dem Walkyriengrunde in Grömitzer Höhe war sie in diesiger Luft verschwunden. Und wie vor dem Hintergrund des grünen Küstenstreifens Segel um Segel aufzog, bald aufleuchtend im Sonnenschein, bald unter Winddruck niedergebeugt zu den schaumgekrönten Wellen, da erlebte ich seit langem wieder eine wunschlose Stunde.
Der Kaiser segelte an Bord der “Hamburg”, die als zweiter Schonerkreuzer das Ziel passierte. Krupps “Germania” war letztes Boot der A1-Klasse.
Das Publikum eilte in dichten Scharen zum Anlegeplatz der Hamburger Yacht, um in einer bei uns Lübeckern erklärlichen “Kaiserhungerichkeit” den Träger des deutschen Einigkeitsgedanken zu begrüßen.
Der Kaiser dankte durch Schwenken mit der Mütze und zog sich dann hinter die Kajütenaufbauten zurück. Dort verweilte er längere Zeit in heiterem Gespräch.
Schließlich schleppte einer der Herren des Gefolges einen Sessel herbei mit der Absicht, dem Fürsten Sitzgelegenheit zu verschaffen. Kaum hatte der Kaiser den Vorgang bemerkt, als er dem Vermittler größerer Bequemlichkeit bei den Schultern fasste, ihn energisch in den Sessel niederdrückte und dann, als er des Überrumpelten fassungslose Miene sah, sich mit der flachen Hand auf das erhobene Knie schlug und hell auflachte.
Warum ich überhaupt davon spreche? Es war einer der kleinen Züge, die den Kaiser dem Beobachter näher bringen; Bewegung und Gebaren sorglos und temperamentvoll, während in Berlin ein Mann sitzt und Trübsal bläst ob der Not, die über des Reiches Geldsäckel lagert.
Herzerquickender Optimismus, der zu zweifeln vermag an dem Wert der eigenen Bestimmung, die aussichtsreicher wäre, wenn sie sich rückhaltlos auf das Vertrauen zum Volke gründen würde. Ein Mann wie geschaffen, ein Kaiser des Volkes zu sein, eines Volkes, dass nach Taten hungert.
Nach 111 Jahren wurde es Zeit, dass diesen Text wieder auflebt!
aus “Von Lübecks Türmen 1909”
bearbeitet und ergänzt von Gunter Bokholt
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